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Endometriose: Wenn der Zyklus den Alltag regelt

Endometriose. Der Begriff stößt bei vielen Leuten auf Unwissenheit und hinterlässt ein großes Fragezeichen. Was der Gesellschaft eher unbekannt erscheint, ist jedoch eine weit verbreitete Krankheit und Lebensrealität für eine halbe Million Menschen in Österreich.


TEXT: LUCIA DE BENEDETTI

VIDEO: EDITH GINZ

KAMERA: JOHANNA DASER UND LAURA PICHLER

FOTOS: LAURA PICHLER

ILLUSTRATION: CARLA MÁRQUEZ



Mach kein Drama! Das ist halt so bei Frauen! Das vergeht schon wieder! - Sprüche, die sich so gut wie jede menstruierende Person schon einmal anhören musste. Dass Regelschmerzen gesellschaftlich immer noch tabuisiert und verharmlost werden, ist leider nichts Neues. Doch bekommen Aussagen wie diese nochmal eine ganz andere Bedeutung, wenn es um Endometriose geht. Für eine von zehn menstruierenden Personen ist die Regelblutung nämlich mehr als "nur eine monatliche Qual": Denn eine von zehn lebt mit der Diagnose Endometriose.

Verortung möglicher Endometrioseherde im Unterleib



Endometriose - Das Chamäleon der Gynäkologie


Bei Endometriose handelt es sich um eine gutartige, aber unheilbare chronische gynäkologische Erkrankung, die bei Menschen mit Uterus im gebärfähigen Alter auftreten kann. Bei den Betroffenen wächst an verschiedenen Stellen des Körpers, außerhalb der Gebärmutter, ein der Gebärmutterschleimhaut ähnliches Gewebe. Am häufigsten aktiv ist dieses im Unterleib und kann sich je nach Form, beispielsweise oft an Bauchfell, Eierstock, Eileiter, oder Gebärmutter entwickeln. „Diese Schleimhaut kann nicht wie die Monatsblutung über die Scheide abgeblutet werden, sondern dieses Blut verbleibt“, erklärt Doktorin Elisabeth Janschek, Gynäkologin und Leiterin des Endometriose Zentrums Villach. Dies kann wiederum Zysten, Verwachsungen, Entzündungen und Vernarbungen verursachen, die zu teils sehr starken Schmerzen und in extremen Fällen auch zur Gefährdung anderer Organe führen können.

„Schmerz ist eines der charakteristischen Merkmale der Endometriose“

Schmerzhafte Erfahrungen musste auch Krissi machen. „Das erste Mal, als ich gemerkt habe, dass das keine normalen Schmerzen sein können, war an Weihnachten vor drei Jahren. Ich habe so starke Krämpfe bekommen, dass ich quasi unter dem Weihnachtsbaum lag und nicht mehr wirklich aufstehen konnte“, berichtet die 29-jährige Studentin. Glücklicherweise gab es in ihrem Bekanntenkreis Freundinnen mit derselben Erkrankung, wodurch Krissi ziemlich schnell bewusst wurde, womit sie es vermutlich zu tun hat.



"Das ist halt so bei Frauen"


Dieses „Glück“ hatte Alexandra leider nicht. Obwohl die 33-jährige Schauspielerin und Musicaldarstellerin bereits ab dem Alter von ungefähr zwölf Jahren mit immer wiederkehrenden unbekannten Bauchschmerzen zu kämpfen hatte, war lange nicht klar, was in ihrem Körper eigentlich vor sich ging. Unter anderem auch aufgrund fehlender Sensibilisierung und vermuteter familiärer Bedingtheit musste Alexandra jahrelang mit stärker werdenden Schmerzen klarkommen. Ganz nach dem Motto: „Das ist halt so bei Frauen!“ Erst Jahrzehnte später, im Zuge der Schwangerschaft, war die Diagnose bereits mehr als fällig: „Es war eigentlich eine Selbstdiagnose im ersten Anlauf. Entgegen der Meinung, dass die Schmerzen mit der Schwangerschaft aufhören würden, hatte ich während und nach der Schwangerschaft immer schlimmere Probleme und zum Teil auch Gewebeabgänge bekommen“. Und obwohl Alexandra genau wusste, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war, stieß sie bei ihrer damaligen Ärztin auf Unverständnis und musste die Diagnostizierung letztendlich selbst in die Hand nehmen:

„Ich habe meine damalige Ärztin darauf angesprochen und sie meinte, sie weiß nicht was das ist. Ich bekam mitgeteilt, dass es wieder die normale Regel wäre. Ich solle jetzt wieder die Pille nehmen und kein Drama machen!“

Die Diagnose ist für Betroffene oft mehr Erleichterung als Schock, denn das große Unbekannte bekommt einen Namen: Endometriose. Die Bestätigung bekommen menstruierende Personen oft dann erst, nachdem sie bereits einen jahrzehntelangen Leidensweg und Ungewissheit hinter sich haben. Vom Auftreten erster Beschwerden bis zur korrekten Diagnose vergehen durchschnittlich immerhin acht Jahre, in denen die Krankheit in der Regel voranschreitet und die Betroffenen leiden, ohne zu wissen, was sie haben. So war es auch bei Alexandra: Erst als sie anfing selbst zu recherchieren und dabei auf Endometriose stieß, wurde ihr bewusst: „Wow, da trifft wirklich ganz viel auf mich zu“.


Alexandra erzählt von ihrem langen Leidensweg und wie es zu ihrer Diagnose kam



Wenn der Alltag zur Herausforderung wird


Endometriose ist dafür bekannt, das Leben von Betroffenen oft erheblich, manchmal sogar bis zur Arbeitsunfähigkeit, einzuschränken. Der Zyklus bestimmt den Alltag. Wodurch die Krankheit ausgelöst wird und wieso sie entsteht, ist nicht restlos geklärt. Die Ursache für Endometriose wurde von der Medizin noch nicht gefunden.


"Endometriose äußert sich durch Schmerz in unterschiedlichen Ausprägungen und in unterschiedlichen Lokalisationen. Zudem kann auch verminderte Fruchtbarkeit eine der Folgen sein. Ganz klassisch beginnt Endometriose mit Schmerzen bei der Regel, die sich aber dann auch chronisch verändern können. Je nach spezifischer Lage der Endometriose können Schmerzen an unterschiedlichen Organen auftreten, wie zum Beispiel beim Stuhlgang und Wasserlassen", erläutert Doktorin Elisabeth Janschek. Betroffene wie Alexandra berichten auch von regelmäßigen Ohnmachtsanfällen bis Erbrechen und sehr starken Blutungen, sowie Schmerzen beim Geschlechtsverkehr.

"Ich habe mich gekrümmt vor Schmerzen und konnte teilweise nicht aufstehen. Meine Lippen waren ganz blass und nach zwei bis drei Tagen war ich richtig ausgelaugt. Es hat teilweise Wochen gedauert, bis ich mich wieder halbwegs erholt hatte und dann ging das Ganze schon wieder von vorne los!"

Frau Doktorin Janschek hält fest, dass der medizinische Befund jedoch nicht immer mit dem Ausmaß der Erkrankung korrelieren muss. Es sei erstaunlich, dass bei dieser Krankheit Personen mit großen Befunden verhältnismäßig geringe Beschwerden äußern würden und eher oberflächliche Endometrioseherde sehr heftige Beschwerden auslösen könnten.


So unterschiedlich die Beschwerden sind, so verschieden sind auch die Behandlungsmethoden. Standardisierte Therapie gibt es keine. Oft werden in erster Linie eine regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln oder verschiedene Hormonpräparate ausprobiert. Bei Alexandra hat sich dies leider nicht als der richtige Weg herausgestellt und auch alternative Methoden wie Yoga, TCM, Psychotherapie oder pflanzliche Mittel konnten die Schmerzen nicht restlos beheben. Letztendlich hat sie sich dafür entschieden, die Gebärmutter entfernen zu lassen: "Bei mir war einfach irgendwann die Luft und die Kraft draußen. Ich habe eine kleine Tochter, für die ich sorgen möchte. Ich möchte sie in die Luft werfen können, ich möchte kuscheln können und mit ihr herumtoben... Das ging nicht. Deshalb hat sich die Gebärmutterentfernung bei mir als die richtige Entscheidung herausgestellt. Das ist für mich eine massive Verbesserung meiner Lebensqualität". Auch Krissi hatte mit wehenartigen Schmerzen und Ohnmachtsanfällen zu kämpfen. Aufgrund schlechter Erfahrungen mit der Pille, entschied sie sich gegen diese Form der Behandlung. In einem speziellen

Endometriosezentrum wurde bei ihr eine Zyste erkannt, welche schlussendlich operativ entfernt werden musste.


Krissi zeigt ihre OP-Narbe am Bauchnabel



"Wir haben zu funktionieren"


Auch am Arbeitsplatz kann Endometriose Betroffene sehr stark einschränken. Spanien hat deshalb als erstes Land „Menstruationsurlaub“ eingeführt. Es wurde entschieden, dass menstruierende Personen bei schmerzhafter Periode bis zu fünf Tage Urlaub im Monat bekommen. Eine ähnliche Regelung für Österreich und Deutschland wünscht sich auch Krissi.

„Ich bin dafür, dass der Arbeitgeber/die Arbeitgeberin verpflichtet wird, Rücksicht darauf zu nehmen, wenn Betroffene solche Beschwerden haben und dass sie entweder zu Hause bleiben dürfen oder im Home Office arbeiten können“.

Gleichzeigt äußert sie die Sorge, dass Frauen und weiblich gelesene Personen in dem Fall bei der Stellensuche benachteiligt werden könnten. Alexandra hält eine solche Regelung wie in Spanien auch für längst überfällig: "Es ist für mich fast unverständlich, dass es das nicht sowieso schon längst gibt. Es sollte überall Standard sein. Jene, die das annähernd irgendwie erlebt haben, wissen, was es bedeutet. Die Diskussion rund um den Menstruationsurlaub zeigt zudem auf, wie männerdominiert unsere Welt ist und wie wenig Rücksicht genommen wird auf uns Frauen. Wir haben zu funktionieren und es ist komplett egal, wie es und dabei geht, wir müssen Augen zu und durch. Das sehe ich sehr kritisch".


Krissi gibt betroffenen Personen den Rat, sich diesbezüglich nicht unterkriegen zu lassen und offen und ehrlich mit ihrer Diagnose und der Menstruationsblutung allgemein umzugehen, sowohl privat, als auch am Arbeitsplatz. Zudem wünscht sie sich, "dass Betroffene auch die Möglichkeit wahrnehmen, sich psychologisch Hilfe zu suchen. Ich finde das so wichtig, denn es gab in den letzten Jahren nur eine einzige Frauenärztin, die mich gefragt hat, wie es mir persönlich, beziehungsweise in meiner Beziehung geht. Alles andere war auf das Klinische bezogen - wie holen wir die Zyste raus, welche Hormone werden gegeben." Doktorin Janschek möchte Betroffenen ebenfalls Mut zusprechen: "In den meisten Fällen gibt es einen guten, gangbaren Weg. Die allermeisten Fällen lassen sich gut behandeln, auch wenn eine chronische Erkrankung einen natürlich längerfristig begleitet. Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass man keine Lebensqualität hat. Sofern man in guten Händen ist und wenn man aktiv daran arbeitet, dann wird es umso besser". Alexandra betont: "Hört auf euer Bauchgefühl!"

 

Weitere Infos und Quellen:

  • #DiagnoseEndometriose: Nationaler Aktionsplan jetzt! - Aufstehn.at hat einen Apell an den Gesundheitsminister gerichtet und sammelt Unterstützung, damit Endometriose ernst genommen wird und Betroffene endlich unterstützt werden.

  • Der Dokumentarfilm "Nicht die Regel" will Awareness schaffen: extreme Schmerzen während der Menstruation sind nicht die Regel.

  • Hilfe und Unterstützung für Betroffene und Interessierte bietet die Endometriose Vereinigung Austria an.


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