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Furrys - Wenn Tiere menschlich werden

Furrys – das sind Liebhaber*innen von Tieren mit menschlichen Eigenschaften. Bei ihnen laufen Wölfe auf zwei Beinen, Katzen bekommen riesengroße Cartoon-Augen und Löwen tanzen. Die Community ist geprägt von Künstler*innen aller Art. Und einige von ihnen ziehen flauschig durch die Welt.


TEXT & FOTOS: URSI ZAISER

VIDEO: LOUIS EBNER


Wenn Rapha den schwarzen Wolfskopf überzieht, verringert sich ihr Sichtfeld. Sie kann nur noch das sehen, was sie direkt anschaut. Ihr wird schnell warm, und bald auch heiß unter dem dicken Fell. Über die Hände zieht sie die Pfoten, an jedem Finger sitzt eine Kralle. Hinten am Gürtel befestigt sie einen buschigen, schwarzen Schwanz und schlüpft in die Schuhe, die aussehen wie tapsige Hinterpfoten. Und dann ist Alexa fertig. Aus bernsteinfarbenen Augen blickt sie einem ins Gesicht. Wenn sie spricht, bewegt sich das Maul mit. Darin sitzen Zähne, von denen man sicher nicht gebissen werden möchte. Dabei bestehen sie aus Kunstharz. Das schwarze Fell ist Kunstfell und die Augen bestehen aus bunt bedrucktem Fotopapier und Glas.


Rapha hat ihre schwarze Wölfin Alexa mit 13 Jahren kreiert. (c) Dennis M.


Rapha ist in einen Fursuit geschlüpft. Diese Anzüge können entweder den gesamten Körper bedecken oder nur Teile davon. Sie stellen ein Tier dar, genau genommen eine tierische Persönlichkeit: eine Fursona (von engl. „fur“, zu Deutsch Fell, und engl. „persona“, zu Deutsch (Kunst)Persönlichkeit). Die Menschen, die solche Fursonas für sich kreieren, nennen sich Furrys. Sie sind Liebhaber*innen von anthropomorphen Tieren, also von Tieren mit menschlichen Eigenschaften. Um sich vorstellen zu können, was das ist, reicht es, an die eigene Kindheit zurückzudenken. In fast allen Zeichentrickfilmen kommen solche Tiere mit menschlichen Eigenschaften vor. Sie haben übergroße Augen, sie sprechen, zeigen menschliche Gefühle.





Fursonas – tierische Alter Egos


Fursonas sind eigene Charaktere. Sie haben Namen und Persönlichkeitseigenschaften. Diese müssen sich nicht unbedingt mit den Eigenschaften des Menschen hinter der Fursona überschneiden. Viele Furrys wollen sogar eine Fursona, die ganz anders ist als sie, zum Beispiel mutiger oder spontaner. Auch bei Rapha ist das so. „Ich wollte etwas sein, das ich nicht bin, etwas, das ich im richtigen Leben nicht umsetzen kann.“ Somit ist ihre Fursona Alexa aufgeschlossener als sie, und auch um einiges frecher.


Es gibt viele verschiedene Wege, einer Fursona Ausdruck zu verleihen. Fursuits sind die wohl auffälligste Methode, das zu tun. Aber längst nicht alle Furrys haben überhaupt einen Fursuit. Laut der Organisation "FurScience!" besitzen nur etwa 15 Prozent einen Ganzkörperanzug und etwa 25 Prozent besitzen Teile davon, zum Beispiel Kopf, Pfoten oder Schwanz. Allerdings haben über 40 Prozent aller Furrys einen Fursuit auf ihrer persönlichen Wunschliste. Die allermeisten Furrys haben Zeichnungen ihrer Fursona, entweder selbst angefertigt oder als Auftragsarbeiten von Künstler*innen. Einige schreiben Geschichten oder Comics über tierische Charaktere, wieder andere lassen sich Tattoos stechen. Den Möglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt.


Die Augen bestehen aus Glas und bedrucktem Fotopapier. Durch die Schlitze darunter kann Rapha sehen.


Wie jede Persönlichkeit sind auch Fursonas nicht statisch, sondern entwickeln sich gemeinsam mit dem Menschen weiter, den sie verkörpern. Das merkt man auch an ihrem Aussehen. Raphas Fursona Alexa war zu Beginn ein schlichter schwarzer Wolf. Im Moment ist Rapha dabei, Alexa in eine Kreuzung aus Wolf und Reptil zu verwandeln. In den Wolfsohren sitzen jetzt lila Schuppen und das schwarze Brustfell ist Reptilienschuppen gewichen. Aber auch diese sind aus seidig weichem Fell.


„Es ist einfach die Reaktion, die man von anderen hat, und wenn man in den Spiegel schaut, dann fühlt man sich super."


Suitwalks – Furry-Paraden


In Österreich gibt es laut Dennis in etwa 1000 Furrys. Er schätzt aber, dass es noch deutlich mehr sein könnten, dass diese Menschen aber nicht in Foren oder auf Stammtischen auftreten. In sechs Landeshauptstädten gab es vor der Corona-Pandemie regelmäßige Furry-Stammtische. Im Moment laufen sie wieder an, immer abhängig von den Corona-Beschränkungen. Die Community steht über Foren in regem Austausch. Allerdings haben während des letzten Jahres einige wichtige Bestandteile des Community-Lebens gefehlt. Auch sogenannte Suitwalks waren nicht möglich. Dabei ziehen sich Furrys, die einen haben, ihren Fursuit an und gehen damit zusammen auf die Straße. Wer immer umarmt werden will, wird umarmt und darf nach Herzenslust durch das Fell flauschen.


Fursonas können die verschiedensten Tiere sein - und die verschiedensten Farben haben.


Bei solchen Gelegenheiten sind aber auch immer Furrys dabei, die keinen Fursuit tragen. Sie sind sogenannte Spotter*innen. Einer davon ist Dennis. Er selbst besitzt keinen Fursuit, sondern kümmert sich lieber um die Sicherheit der Furrys, die in einem solchen stecken. "Der Spotter ist quasi das erweiterte Augenpaar des Suiters", erklärt er. Das beginnt schon auf dem Weg nach draußen. Stiegen und Türschwellen sind für Rapha im Fursuit schwer zu erkennen. Unterwegs hilft Dennis ihr dabei, nicht über Gehsteigkanten zu stolpern und Mistkübeln auszuweichen. Ihr Sichtfeld ist nämlich so eingeschränkt, dass kleinere Gegenstände - oder auch Kinder - für sie teilweise gar nicht zu sehen sind. Aber auch Bodenwellen können für Fursuiter*innen schnell zur Stolperfalle werden.


Außerdem wird es in Fursuits extrem heiß. Kreislaufkollapse sind keine Seltenheit. Aber unter Furrys gilt der Grundsatz: „Don’t break the magic“ – Brich niemals den Zauber! Das bedeutet, dass sie den Kopf des Fursuits niemals vor Nicht-Furrys abnehmen. Spotter*innen haben also auch die Aufgabe zu erkennen, ob sich bei jemandem ein Kreislaufkollaps anbahnt, und diese Person dann in eine ruhige Ecke zu bringen, wo sie den Kopf abnehmen und einmal durchatmen kann. Trotzdem ist es vielen die Anstrengung wert. „Es ist einfach die Reaktion, die man von anderen hat, und wenn man in den Spiegel schaut, dann fühlt man sich super“, erzählt Rapha.


Und diese Reaktionen kommen. Immer wieder begegnen wir auf unserem Spaziergang Kindern und anderen Spaziergänger*innen. Erstaunte Blicke liegen auf Rapha und folgen ihr, auch als sie schon vorbeigegangen ist. Vielen tritt ein breites Lächeln ins Gesicht, als sie Rapha sehen, andere schauen wie gebannt auf die täuschend echten Wolfsaugen. Irgendwann begegnen wir auch einem schwarzen Hund, der zunächst ziemlich verwirrt scheint, eine Artverwandte auf zwei Beinen gehen zu sehen. Aber schließlich lässt er sich doch streicheln. Er ist allerdings der einzige, der an diesem Tag in diesen Genuss kommt. Denn seit Ausbruch der Corona-Pandemie dürfen Fursuits nur noch aus der Ferne bewundert werden.


Suitwalks waren aber auch vor der Corona-Pandemie in Österreich gar nicht mehr so einfach. Wegen des Verhüllungsverbots, das im Oktober 2017 eingeführt wurde, darf man das eigene Gesicht in der Öffentlichkeit nur noch in Ausnahmefällen bedecken. Gerade das ist aber das Prinzip eines Fursuits. Furrys haben eine Nische gefunden, nämlich die Ausnahme für künstlerische Veranstaltungen. Allerdings müssen Polizist*innen im Einzelfall beurteilen, ob eine Gesichtsverhüllung vom Verbot ausgenommen ist.



Fursuitmaking


In Fursuits steckt einiges an Arbeit. Fursuitmaker*innen arbeiten dutzende Stunden an einem einzigen Anzug. Allein der Kopf kostet mehrere hundert Euro. Rapha arbeitet selbst als Fursuitmakerin. „Wenn du gute Qualität willst, musst du für den Kopf mindestens 500 Euro zahlen“, meint sie. Ansonsten sei die Qualität schlichtweg mangelhaft. Ein ganzer Suit kann also gut und gerne tausend Euro kosten, je nach Aufwand. „Wenn ich einen weißen Wolf mache, dann geht das ja schnell. Aber bei einem Gepard muss ich jeden Punkt einzeln annähen.“


Manche wollen, dass ihre Suits möglichst stark dem tierischen Vorbild ähneln. Andere möchten lieber einen Fursuit, der nach einer Comicfigur aussieht. Das Grundgerüst des Kopfes besteht meist aus dickem Schaumstoff. An den Wangen ist er besonders dick, sodass man darin nur sehr wenig hört. Darüber kommt das Fell. Das kommt meistens aus Amerika und wird nach dem Anbringen rasiert, damit es kurz genug ist. Zähne, Augen und sonstige Eigenschaften werden je nach Wunsch hergestellt. Manche Furrys lassen sich auch technische Hilfsmittel wie zum Beispiel Ventilatoren in den Kopf einbauen, um beim Tragen des Suits weniger zu schwitzen.


Das Grundgerüst des Fursuits verrät erstmal nicht viel über das Tier.


Dass Menschen so viel Geld für die Kostüme ausgeben, erklärt Rapha sich mit dem Wunsch nach Selbstdarstellung. „Wir sind Menschen, wir wollen immer was Schöneres haben und vor anderen angeben. Das ist so, wie wenn andere Leute Markenklamotten tragen.“ Im Gegensatz zu Markenklamotten werden Fursuits aber kaum im Alltag getragen. Dafür sind sie zu unpraktisch und zu sensibel. Auf Suitwalks und vor allem auf Conventions werden sie jedoch stolz präsentiert – und dann auch mehrere Stunden lang getragen. Raphas Höchstzeit waren neun Stunden in einem Ganzkörperanzug.



Mehr als nur Fursuits


Fursuits sind sicherlich die auffälligste Facette der Furry-Community. Aber dahinter gibt es noch einiges mehr. „Die Furry-Community ist sehr, sehr groß. Und wie viele Künstler da eigentlich drin sind, wie viele Leute so gut zeichnen können. Und das interessiert aber keinen, weil alle immer nur auf die Kostüme schauen. Das finde ich superschade“, erzählt Rapha. Denn die meisten Furrys besitzen nicht einmal einen Fursuit, sind dafür aber sehr kunstverliebt. Zu ihnen gehört auch Dennis. Seine Wohnung ist voll von Auftragsmalereien, sogenannten Commissions, die allesamt anthropomorphe Tiere darstellen. Dennis hat seine Fursona, einen afrikanischen Löwen, von den verschiedensten Künstler*innen zeichnen lassen. „Weil die alle ihren eigenen Stil haben und das ist natürlich spannend“, erklärt er.


Eine Version von Dennis' Fursona Mailylion



Kein Fetisch


Wie über jede Community kursieren auch über die Furry-Community zahlreiche Vorurteile. Das wohl Geläufigste: die Fursuits seien ein Fetisch und Furrys hätten darin Sex. Rapha meint dazu: „Das funktioniert nicht wirklich. Das willst du auch gar nicht. Du ziehst das Kostüm an und schon schwitzt du. Und du siehst nichts und du kriegst keine Luft. Ich weiß nicht, wie man auf diese Idee kommt: ‚Ah, das könnte jetzt toll sein!‘“ Es gebe zwar schon Einzelne, die so etwas machen, aber das sei eine kleine Minderheit. „Aber die Medien stürzen sich natürlich immer auf das Reißerischste, und was ist reißerischer als das?“



Facettenreich


Weniger bekannt sind dagegen Organisationen wie „FurScience!“. Das ist ein Team aus Wissenschafter*innen, die sich der Erforschung der Furry-Community gewidmet haben. Sie haben sich mit der Beschaffenheit der Community auseinandergesetzt, mit den Vorlieben der Mitglieder und mit ihren persönlichen Einstellungen. Eine andere Furry-Organisation ist „Furries For Kids“. Menschen in Fursuits kommen einen Nachmittag lang in SOS Kinderdörfer und spielen mit den Kindern. Mittlerweile sind auch Nicht-Furrys mit von der Partie. Von den Kindern wird das sehr gut angenommen. „Viele Kinder hier haben Sehnsucht nach etwas, das sie nicht bekommen können. Wenn dann ein Besuch kommt mit riesengroßen Kuscheltieren, dann kann das vergessen werden“, erklärt Andrea Hartl, Leiterin des SOS Kinderdorfs Pötsching.


Die Furry-Community hat sehr viele verschiedene Seiten.


Nach ihrem Suitwalk verwandelt sich Alexa wieder zurück in Rapha. Stück für Stück zieht sie den Suit aus. Später wird sie ihn in der Badewanne einweichen, mit Kernseife reinigen und dann trocknen lassen. Bis irgendwann wieder der Wolf ruft.

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