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Geld für Freizügigkeit

Lola ist 18 und lebt hauptberuflich vom Posten erotischer Fotos auf der Plattform OnlyFans. Damit folgt sie dem internationalen Trend, Erotikinhalte selbst zu produzieren. Während einige von sexuellem Empowerment reden, sehen andere einen schnellen Fall in die Pornoszene.


TEXT, FOTOS: RONNY TAFERNER; VIDEO: CHIARA SWATON


Wenn Lola morgens aufwacht, liest sie als Erstes ihre Nachrichten. „Welche Unterwäsche trägst du gerade?“ „Du bist so geil, ich stehe so sehr auf deine Brüste.“ Nachrichten wie diese zu beantworten ist ein großer Teil ihres Alltags. Unter die Nachrichten mischen sich Sexfantasien von Männern mit ihr und konkrete Aufforderungen. „Manche wollen, dass ich eine spezielle Unterwäsche oder gewisse Outfits trage.“ Lola postet täglich mindestens ein erotisches Foto auf OnlyFans und muss ständig online sein, um mit ihren meist männlichen Klient*innen zu chatten. Denn damit verdient sie ihr Geld – so viel, dass sie davon leben kann.



Die britische Plattform OnlyFans gibt es seit 2016 und wächst seither rasant. Mittlerweile nutzen über 85 Millionen Menschen weltweit die Plattform und mehr als eine Million produzieren Content. Aufgebaut ist das soziale Netzwerk ähnlich wie Instagram, mit dem wesentlichen Unterschied, dass Personen Geld für ihre Inhalte verlangen können. Die Preisspanne liegt zwischen 4,99 Dollar und 49,99 Dollar pro Monat, User*innen können zusätzlich Trinkgeld geben. Eine weitere potentielle Einnahmequelle sind private Chats, in denen häufig Fotos auf spezielle Wünsche verschickt werden. Es gibt viele Wege, Geld zu verdienen. Lola bietet ihren Kund*innen etwa an, auf Snapchat zu chatten und ihnen so einen noch näheren Einblick in ihr privates Leben zu geben.


Es war Lola schon immer klar, dass sie nicht auf eine*n Arbeitgeber*in angewiesen sein will. Sie betreibt OnlyFans erst seit knapp einem Monat und verdient schon Summen im vierstelligen Bereich, von denen sie gut leben kann. Social-Media-begeistert ist Lola seit eh und je. Auf TikTok erreicht sie bis zu 30.000 Personen, auf Instagram knapp 4.000. Ihre Reichweite trägt wesentlich dazu bei, auf OnlyFans zahlungswillige Follower*innen zu generieren. Lola zählt derzeit zu den Top drei Prozent der erfolgreichsten OnlyFans-Creators weltweit – so werden Personen genannt, die Fotos oder Videos dort posten.


Lola sitzt vor dem Laptop und beantwortet die Nachrichten der Klient*innen

Lolas Arbeitsplatz: Hier beantwortet sie die Nachrichten ihrer Klient*innen


Vor einem halben Jahr trennen sich Lola und ihr Exfreund. „Es war eine sehr ungesunde Beziehung, sie hat mein Selbstbewusstsein stark schrumpfen lassen.“ Nach und nach baut Lola mehr Selbstvertrauen auf, tritt mit anderen jungen OnlyFans-Betreiberinnen in Kontakt und schaut sich Dokumentationen darüber an. Bis sie sich schließlich selbst auf der Plattform anmeldet. E-Mail-Adresse eingeben, ein Foto vom Ausweis hochladen und los geht es. Die Vorteile überwiegen für Lola: Sie kann von überall arbeiten und sich die Zeit selbst einteilen, lediglich ein Handy oder Laptop sind erforderlich. „Ich liebe reisen – und das lässt sich mit diesem Job ideal verbinden.“ Lola geht offen mit ihrer Arbeit in der Erotikszene um. Ihre Familie und ihr Freundeskreis haben sie von Anfang an unterstützt. Selbst ihr Dating-Leben ist dadurch nicht eingeschränkt: „Ich sage immer offen, womit ich mein Geld verdiene und würde meinem Partner selbstverständlich Einblick in meine Arbeit geben.“ OnlyFans aufzugeben kommt aber für sie nicht in Frage. „Er muss es akzeptieren, wenn nicht, dann passt er auch nicht zu mir.“


"Ich werde mich nie vor die Kamera mit gespreizten Beinen setzen.“

Sie kennt ihre Grenzen: „Meine Brustwarzen und meine Vagina zeige ich nicht. Ich poste sehr freizügige Fotos, wo man viel sieht – komplett nackt bin ich aber nie. Auch persönliche Sextreffen mache ich nicht.“ Lola legt viel Wert auf ästhetische, erotisch-künstlerische Fotos und distanziert sich klar von pornografischen Inhalten. Und dennoch weiß sie, dass ihre Fotos größtenteils als Masturbationsvorlage verwendet werden, typischerweise von Männern in ihren Zwanzigern. Die Wünsche der User*innen sind vielfältig, oft getrieben durch Fetische. „Die Leute gehen dann mit dem Preis wahnsinnig in die Höhe, das ist irre. Aber davon lasse ich mich nicht beeinflussen. Ich werde mich nie vor die Kamera mit gespreizten Beinen setzen.“


Die 18-Jährige lebt hauptberuflich von ihrem OnlyFans-Account


Im Internet stehen Millionen von Pornos jederzeit und kostenlos zur Verfügung. Unzählige Models und Influencer*innen posten freizügige, erotische Fotos in den sozialen Medien. Warum Menschen dennoch Geld für OnlyFans ausgeben, erklärt sich Lola vor allem durch die persönliche Verbindung mit den User*innen anhand von Chats und Fotos. „Die Leute haben das Gefühl, einen besonderen Inhalt zu sehen, da nicht jeder Zugriff hat. Ich chatte mit vielen täglich und sende ihnen individuelle Fotos.“ Dadurch entsteht eine Bindung, die nicht selten in eine emotionale Richtung geht. Personen bauen einen persönlichen Kontakt mit Lola auf. Sobald nicht mehr bezahlt wird, geht dieser zu Ende. „Manchmal merke ich, dass ich jemandem ans Herz gewachsen bin. Der Umgang damit ist schwierig für mich.“ Genau das ist einer der Kritikpunkte an OnlyFans: Menschen, die oft einsam sind und sich nach einem Kontakt mit einem anderen Menschen sehnen, müssen bezahlen, um zumindest kurzzeitig Nähe zu erfahren. „Ja, es ist moralisch sicher ein etwas heikles Thema. Aber genau deswegen kommuniziere ich von Anfang an klar, was meine Leistungen sind und dränge niemanden zu etwas.“


"Manchmal merke ich, dass ich jemandem ans Herz gewachsen bin. Der Umgang damit ist schwierig für mich.“

Seit es OnlyFans gibt, existiert auch die Kritik daran. Die leichte Zugänglichkeit dieser Plattform hat Auswirkungen: Menschen rutschen schnell in die Erotikszene. Durch hohe Geldangebote werden rasch Grenzen überschritten. Passt diese Plattform, auf der viele Frauen sexualisiert werden, zu Lolas feministischem Weltbild? „OnlyFans ist für mich die feministischste Option, die es gibt, in der Erotikbranche zu arbeiten. Frauen dürfen sehr wohl ihren Körper zeigen, ohne dass der Mann sie sexualisiert. Es ist absolut nicht feministisch, wenn sich Frauen verhüllen müssen“, ist Lola überzeugt. Die Verdienstmöglichkeiten auf OnlyFans sind nach oben hin nicht begrenzt. Im Vergleich zu Pornodarsteller*innen bestimmt man auf OnlyFans aber selbst, was man produzieren und hochladen will. 20 Prozent der Einnahmen gehen an die Plattform, das ist ein wesentlich geringerer Prozentsatz, als die Produktionsfirmen bei professionellen Porno-Drehs vom Gewinn einnehmen.


Lola steht vor ihrem Kleiderschrank und zeigt einen schwarzen BH her

Wünsche ihrer Klient*innen sind meist Fotos in spezieller Unterwäsche


Auf OnlyFans gibt es auch Accounts über Musik, Kunst, Kochen oder Fitness und immer mehr prominente Personen teilen Einblicke in ihren Alltag dort. Das ist jedoch eher die Ausnahme. Den größte Teil machen pornografische Inhalte aus. Im Vergleich zu Porno-Plattformen wirbt OnlyFans damit, nahbarer und realistischer zu sein. Wie in den meisten sozialen Medien entspricht das Gezeigte aber nicht der Realität: schöne Gesichter, perfekte Körper und Sexprofis. Studien zeigen, dass ein hoher Konsum solcher Plattformen zu psychischen Problemen führt: vermindertes Selbstbild, negative Körperwahrnehmung und depressive Verstimmung. In Kombination mit erotischen Inhalten kann es zusätzlich zu einer verzerrten Wahrnehmung von Sexualität, Sexualstörungen bis hin zu negativen Folgen für das eigene Liebesleben kommen.


Für Lola ist klar, dass sie nicht ein Leben lang in der Erotikbranche tätig sein will. Derzeit gefällt es ihr: „Ich bin jung und habe nur ein Leben. Ich mache das, worauf ich Lust habe – und das ist eben jetzt OnlyFans.“ Ihr Ziel ist es später, Hochzeitsplanerin zu werden. Schon als Kind träumte sie davon, sich eines Tages selbstständig zu machen. Angst davor, dass ihre Karriere durch die Erotikfotos negativ beeinflusst wird, hat Lola nicht. „Ich will sowieso nicht bei einem konservativen Unternehmen arbeiten, wo das nicht akzeptiert wird. Das passt nicht zu meinem Weltbild.“


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