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Perser, nicht Iraner

Soheil wächst im Iran auf. Gerade als er zum persischen Rockstar aufsteigt, ändert sich alles – er muss ins Gefängnis. Seine einzige Chance: die Flucht nach Europa.


TEXT: JULIA PABST; FOTOS: JULIA PABST; VIDEO: PAUL MAIER, JULIA PABST


Soheil Zamani springt die Stufen zur Bühne hinauf, seine langen schwarzen Locken wippen bei jedem Schritt. Er greift nach dem Mikrofon, schraubt herum, bis die Höhe stimmt. "Tut mir leid, dass ich so ein schircher Lackel bin", sagt er. Das Publikum lacht. Eine Moderatorin weist ihn darauf hin, dass er den dunkelblauen Mund-Nasen-Schutz ruhig abnehmen darf. Er registriert sie nicht, er ist zu sehr auf das Publikum konzentriert. Heute ist Soheil als Feature-Poet beim "Poetry slam'md" in Mödling eingeladen. Er wird Passagen aus seinem neuen Buch vorlesen und ein paar Texte auf Farsi und Deutsch präsentieren.


2018 kam er als Flüchtling mit dem Zug über die ungarisch-österreichische Grenze. Sein Buch "Baumhaftigkeit" hat er auf Deutsch geschrieben. Als Autor lebt er von der Sprache. Mit Worten drückt er aus, was er fühlt und nimmt seine Leser*innen mit in sein Innerstes.



Obwohl er aus dem Iran kommt, nennt er sich nicht gerne Iraner. Er sei Perser, bessert er sein Gegenüber aus, wenn ihn jemand falsch vorstellt. "Wenn man Iran sagt, fällt mir sofort die islamische Revolution ein. Menschen, die misshandelt werden. Junge Leute, die auf der Straße sterben. Straftod", sagt Soheil und schaut dabei zu Boden.


"Ich bin Perser - nicht Iraner."

1979 wurde der Schah von Persien gestürzt. Der Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini wurde zum neuen Staatsoberhaupt. Er machte den Glauben zur Staatsprämisse und rief eine Islamische Republik aus. Auch wenn Soheil damals noch lange nicht geboren war, hat die Revolution sein Leben geprägt: "Sie haben damals das System in eine 'islamische' Richtung geändert. Schule wurde islamisch, Musik wurde islamisch, atmen wurde islamisch. Alles im Iran ist islamisch."


Soheil nutzt seine Kunst, um seine Gefühle auszudrücken und das Erlebte zu verarbeiten


Soheils Vater ist Kurde. Es ist ihm untersagt, dass er mit seinem Sohn in der Öffentlichkeit kurdisch spricht. Auch die traditionellen bunten Trachten darf die Familie im Iran nicht tragen. Seine Mutter ist halb Perserin und halb Armenierin. Soheils Großmutter ist vor vielen Jahren wegen eines Kriegs in Armenien nach Persien geflohen. "Ich wurde als Flüchtling geboren, ich bin ein Fremder in meinem eigenen Land", sagt Soheil. In der Region, in der er aufwächst, ist das nichts Seltenes. An der Grenze zum Irak kommen viele verschiedene Volksgruppen zusammen. Ihre Traditionen dürfen sie ausleben, solange sie muslimisch sind.


Schreiben


Traditionen und Gepflogenheiten prägen Soheils Kindheit. Seine Meinung darf er nicht aussprechen. Kritik an der Familie oder dem Regime ist unerwünscht. Er fühlt sich von niemandem verstanden. "Ich dachte mir, wenn ich mit niemandem reden kann, dann schreibe ich", erzählt er. Mit 13 nimmt er den Stift in die Hand und drückt sich zum ersten Mal mit Worten aus. Sein Literaturlehrer liest die Texte und ermutigt ihn dazu, zwei Gedichte bei einem Literaturpreis einzureichen. Soheil gewinnt den Wettbewerb.


"Wenn ich mit niemandem reden kann, dann schreibe ich."

In den nächsten Jahren schreibt er seine ersten Romane. Entgegen der Tradition zieht er als Jugendlicher von zuhause aus und geht nach Teheran. "In Persien ist es typisch, dass du heiratest und mit deiner Frau bei deiner Familie wohnst", erzählt Soheil, "mein Vater hat nicht verstanden, wieso ich ausziehen wollte. Er hat zwei Jahre lang nicht mit mir gesprochen."


Als junger Mann veröffentlicht Soheil zwei Gedichte und gewinnt damit einen Literaturpreis


In Teheran macht Soheil die Matura und beginnt, Musik zu studieren. In der Großstadt fühlt er sich freier und tauscht sich mit anderen Künstler*innen aus. Für eine Zeitungskolumne über Frauenrechte muss er mehrere Geldstrafen bezahlen. Obwohl er in Teheran endlich ähnlich denkende Menschen findet, ist Soheil nicht glücklich. Melancholie ist sein ständiger Begleiter: "Ich wollte nicht traurig sein, aber ich habe mich gefühlt wie in einem Käfig."


Musik


In Teheran kann man nur traditionelle Instrumente studieren, westliche Klänge sind Tabu. Nachdem Soheil seinen Bachelor in persischer Musik abschließt, zieht er nach Armenien. "Mich hat die Gitarre immer fasziniert. Ich wollte lernen, wie man sie spielt. Nach dem Bachelor war der Zeitpunkt für mich gekommen, in Armenien weiter zu studieren," erzählt Soheil.


"Ich habe dort Freiheit erlebt."

In der armenischen Hauptstadt Jerewan eröffnet sich für ihn eine neue Welt: "Ich habe dort Freiheit erlebt." Soheil trinkt zum ersten Mal Bier und kostet Schweinefleisch. Er besucht Kirchen und entdeckt das Christentum für sich: "Obwohl ich mich nicht als wirklich religiös bezeichnen würde, habe ich dort die richtige Religion gefunden. Ich dachte mir: Wie schön ist es eigentlich, Christ zu sein?"


Soheil wird mit seiner Musik immer erfolgreicher


Untertags studiert Soheil Gitarre und Klavier, nachts verdient er sein Geld mit Auftritten in Bars und Clubs. Mit einem griechischen Freund nimmt er erste Songs auf. Sie landen in der iranischen Hitparade. So sehr es Soheil in Armenien gefällt, hat er auch Heimweh. Er vermisst seine Freunde und seine Mutter. "Ich dachte mir, na gut: Meine Bücher und meine Musik kommen in Persien gut an. Ich kann dort jetzt selbst etwas machen und Konzerte veranstalten. Ich versuche es noch einmal. Zurück nach Persien."


Gefangen


Zurück in Persien wird Soheil immer bekannter: Er veröffentlicht ein Album, ein Theaterstück und noch einen Roman – das Echo ist groß. Der junge Künstler zieht in eine Penthouse-Wohnung und lebt ein verstecktes Leben als Rockstar. Heimlich veranstaltet er mit Freund*innen Partys – mit Alkohol. Liebschaften muss Soheil auch geheim halten: Außerehelicher Sex ist im Iran per Gesetz verboten und mit hohen Strafen belegt. Auch in seiner Kunst darf Soheil nicht über körperliche Liebe sprechen. Seine Texte und Lieder muss er vor der Veröffentlichung vom Kulturministerium freigeben lassen: "Stell dir das vor: Im Iran ist es ein Job, Wörter wie 'küssen' oder 'umarmen' aus Büchern zu streichen oder politische Meinungen zu zensieren. Leute werden dafür bezahlt."


"Ich habe nichts gemacht. Ich war kein Terrorist, ich war nicht gewalttätig. Ich habe nur geschrieben, was ich meine. Das war mein Verbrechen."

Mit einem Roman überspannt Soheil den Bogen: Die Behörden genehmigen die Liebesgeschichte zwischen einem Christen und einer Muslima zwar, aber einige Mullahs (Religionsgelehrte) sind empört. Zwei Monate nach Veröffentlichung bekommt Soheil einen Brief: Ihm drohen sieben Jahre Gefängnis. Bis zur Gerichtsverhandlung wird er vom Geheimdienst bespitzelt, sein Handy wird abgehört, Polizisten folgen ihm auf Schritt und Tritt. "Ich habe nichts gemacht. Ich war kein Terrorist, ich war nicht gewalttätig. Ich habe nur geschrieben, was ich meine. Das war mein Verbrechen."


Soheils Verbrechen: eine eigene Meinung


Zwei Monate lang ist Soheil im iranischen Gefängnis: "In Österreich ist das Gefängnis im Vergleich dazu ein Hotel. Es war die Hölle." Alle paar Wochen werden die Häftlinge nachts aus ihren Zellen geführt. Es wird ihnen eingeredet, dass sie zum Tod verurteilt sind und gleich hingerichtet werden. Sie müssen sich auf einen Hocker stellen und bekommen eine Schlinge um den Hals gelegt. Nachdem sie Todesängste ausgestanden haben, werden sie doch wieder in ihre Zellen zurückgeschickt. "Angst ist der Bruder vom Tod", sagt Soheil. Er versucht, die Zeit im Gefängnis zu verdrängen: "Du weißt dort nicht mehr, ob du noch lebst oder ob du schon tot bist."


Flucht


Ein Freund rät Soheil, er solle ein Gedicht über Mohammed schreiben, vielleicht würde er so Ausgang bekommen. Und tatsächlich: Sein Gedicht wird in einer Zeitung veröffentlicht und Soheil darf für eine Woche nach Hause. Er besucht seine Eltern: "Ich habe meine Mama noch nie so weinen gesehen." Dann nimmt er sich ein Taxi und fährt ins türkische Grenzgebiet. Stundenlang stapft er durch die Berge und betritt schließlich türkischen Boden.


"Die Polizisten haben uns so schlecht behandelt. Es war unglaublich. Ich verstehe das nicht - das war doch in der EU!"

Für einige Tage kann Soheil bei einer Freundin in Istanbul untertauchen. Weiter geht es nach Serbien, dort kann er für einen Monat bei einem Verwandten bleiben. Aber Soheil will weiter. Er will nach Europa. Mit einer kleinen Gruppe von Flüchtlingen versucht er zweimal die Grenze zwischen Serbien und Ungarn zu überqueren. Der erste Versuch scheitert: Die Gruppe wandert vier Tage lang durch das Grenzgebiet und schläft im Wald. Es ist Winter – die Kälte nistet sich bis zu den Knochen in ihre Körper ein. Sie haben kaum Wasser und Essen. Ein kleines Kind hält die Reise fast nicht durch. Bei der Grenze bittet Soheil einen ungarischen Bauern um Wasser für das Kind. Der Bauer scheucht sie davon und ruft die Polizei: "Die Polizisten haben uns so schlecht behandelt. Es war unglaublich. Ich verstehe das nicht - das war doch in der EU!"


Während des Interviews raucht Soheil eine Zigarette nach der anderen


Die Polizisten zerstören zwei Handys und beschimpfen die Flüchtlinge. Wasser geben sie ihnen keines. Sie fragen Soheil nach seiner Gitarre: "Sie haben gesagt: 'Ein Flüchtling mit Gitarre? Das habe ich noch nie gesehen! Spiel uns etwas vor oder wir machen auch dein Handy kaputt!'" Nach vier Tagen in der Kälte und ohne Wasser zwingen sie Soheil dazu, ihnen ein Lied vorzuspielen. Soheil wird behandelt wie ein Tanzbär: "Das war so eine Enttäuschung. Was ist da der Unterschied zwischen den Polizisten im Iran und in der EU?"


Die Polizisten bringen die Flüchtlinge zurück zur serbischen Grenze. Sie werfen sie 15 Kilometer vor dem nächsten Dorf mitten in der Nacht aus dem Auto. Dem Kind geben sie eine Flasche Wasser. Die anderen bleiben durstig.


Österreich


Der zweite Versuch gelingt: Die Gruppe kommt über die serbisch-ungarische Grenze und durchquert Ungarn. An der Grenze zu Österreich werden sie wieder von Polizisten entdeckt. Dieses Mal ignorieren die Polizisten sie aber: "Die dachten sich wahrscheinlich: Es ist besser, wenn wir nach Österreich gehen." Die Gruppe steigt in einen Zug und fährt bis nach Wien. Dort steigen sie um, in einen anderen Zug. Ein Schaffner entdeckt sie und holt die Polizei. "Sie haben mich nach meinem Pass gefragt, aber der war im persischen Gefängnis", erinnert sich Soheil. Die Flüchtlinge werden festgenommen: "Und so bin ich vom Gefängnis geflohen und in einem neuen Gefängnis angekommen."


"Die dachten sich wahrscheinlich: Es ist besser, wenn wir nach Österreich gehen."

Soheil wird in einem Asylheim im Lungau untergebracht. Eine ehemalige Lehrerin bringt ihm dort Deutsch bei. Sein Asylverfahren wird schnell durchgewinkt. Schon bald hält er ein blaues Kuvert in den Händen: der positive Bescheid. "Ich hatte sehr viel Glück. Viele meiner Freunde warten noch immer auf ihren Bescheid. Einige afghanische Freunde von mir sind seit bald fünf Jahren hier und wissen noch immer nicht, ob sie bleiben dürfen."


Obwohl Soheil so viel gelitten hat, hat er nie seinen Humor verloren


Soheil zieht nach Wien. Hier tritt er bei Poetry Slams auf und steht sogar im Burgtheater auf der Bühne. "Wien war für mich immer ein Traum", sagt er. Zuhause fühlt er sich in Österreich trotzdem nicht: "Ich werde fast jeden Monat auf der Straße rassistisch beschimpft. Wie soll ich mich da willkommen fühlen?" Die Menschen würden Flüchtlinge immer nur in Extremen einteilen: Entweder würden sie sie wie arme, hilfsbedürftige Leute behandeln oder als Eindringlinge wieder vertreiben wollen. "Es gibt nichts dazwischen. Fast niemand behandelt uns wie ganz normale Menschen."


"Fast niemand behandelt uns wie ganz normale Menschen."

"Ich habe schon einen schweren Pingel zu tragen, wie Ernst Molden sagen würde", murmelt Soheil und nimmt einen langen Zug von seiner Zigarette. Aber eine ganz persönliche Mission gibt ihm Hoffnung: "Wir haben die Liebe vergessen. Ich möchte den Menschen mit meiner Kunst zeigen, wie wichtig Liebe ist. Es gibt viel mehr als nur ein schönes Haus oder einen neuen BMW. Das treibt mich an. Das gibt mir Kraft."

 

Hier einige Songs und Auftritte von Soheil


Songs:




Auftritte:




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