Polyamor zu leben heißt, mit zwei oder mehr Menschen zusammen zu sein. Das heißt auch: Mindestens zwei Schwiegermütter und -väter. Das heißt auch: Eventuell ist das Bett gemacht für zwei, reinpassen sollten aber drei. Das heißt auch: Man lebt anders als die meisten anderen. Der Sozialwissenschafter und Polyamorie-Forscher Stefan Ossmann spricht über Polyamorie in einer Gesellschaft, die für Monogamie gemacht ist.
TEXT: URSI ZAISER
"Einfach ist eine Polybeziehung nie", sagt Stefan Ossmann. Schon die Definition von Polyamorie ist alles andere als einfach: eine konsensuale Liebesbeziehung zwischen mehr als zwei Personen, basierend auf emotionaler Liebe und intimen Praktiken über einen längeren Zeitraum hinweg. Das lässt viel Raum für Interpretation. Jede Poly-Beziehung sieht anders aus. Was sie von anderen Formen der Nicht-Monogamie abgrenzt, ist die Verbindlichkeit. Dass eine polyamore Beziehung verbindlich ist, heißt aber nicht, dass alle Partner*innen gleich viel von allem bekommen. "Das knappe Gut ist nicht die Liebe und nicht der Sex. Wo sich's verknappt, ist die Aufmerksamkeit, die Zeit."
Stefan Ossmann ist Sozialwissenschaftler an der Universität Wien und hat dort gerade seine Doktorarbeit zum Thema Polyamorie beendet. Seit Jahren befasst er sich mit der Thematik, die in der Wissenschaft noch sehr wenig behandelt wurde. In dieser Zeit hat sich allerdings sehr viel getan. "Als ich meine Dissertation vorgestellt habe, musste ich Polyamorie noch definieren. Heute muss ich das nicht mehr, weil die Leute wissen, was das ist." Und obwohl mit dem Bewusstsein für Polyamorie auch die Akzeptanz dafür gewachsen ist, ist sie noch immer weit davon entfernt, gleichberechtigt zu sein. Das fängt bei der Rechtslage an - auch wer in einer Mehrfachbeziehung lebt, kann nur einmal heiraten - und hört bei der Produktion von passenden Matratzen auf: Wer ein Bett haben will, in dem zum Beispiel alle drei Beziehungspartner*innen schlafen können, braucht eine teure Sonderanfertigung.
Stefan Ossmann forscht seit Jahren zu Polyamorie
Ossmann schätzt, dass in Österreich ca. 40 000 Menschen polyamor leben. Um für sie mehr Akzeptanz zu schaffen, hält er "Poly-Testimonials", die in Österreich beliebt sind, für wichtig. "Wenn Florian Silbereisen sagen würde: 'Ich habe eine Beziehung mit Helene Fischer und mit Andreas Gabalier', dann würde das auch bei meiner Großmutter ankommen."
Stefan Ossmanns und Franz X. Eders Forschungsprojekt zu Polyamorie in den Medien findest du hier.
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Im Rahmen unseres Schwerpunktes Polyamorie haben wir in dieser Geschichte mit Kerstin und Kolja gesprochen. Sie sind verheiratet, aber nicht miteinander. Aber die beiden sind seit acht Jahren in einer romantischen Beziehung. Wie die beiden (und ihre anderen Partner*innen) das gestalten, erfährst du hier.
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