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Sexismus und Safe Spaces: Gender Equality hinter dem Mischpult

Bis heute ist die elektronische Musikszene von Männern dominiert. Woher kommt die fehlende Diversität, welche Konsequenzen bringt diese mit sich und welche Rolle spielen Netzwerke dabei, die Sichtbarkeit von FLINTA*-DJs zu erhöhen?


TEXT: ELISABETH GOLLIEN

PODCAST: JOHANNA DASER


Eine Nacht im Club. Der Bass lässt die Körper vibrieren und die Menge beben. Die Musik ist laut – doch die Stimmen der FLINTA*-Künstler:innen, die auf der Bühne hinter dem Pult stehen, werden selten gehört. Dabei sollte gerade der künstlerische Bereich Platz für alle bieten. In der elektronischen Musikszene stehen aber hauptsächlich Männer hinter den DJ-Pulten. Generell assoziieren viele von uns mit dem Begriff „DJ“ bis heute eine männliche Person. Eine veraltete Vorstellung, die noch in in unseren Köpfen feststeckt.



FLINTA*-Personen – also Frauen, Lesben, Trans, Inter, Non-Binary und Agender-Personen – stellen in der elektronischen Musikszene eine Minderheit dar. Female:pressure und FEMDEX sind zwei Netzwerke, die FLINTA*-Künstler:innen in der Musikbranche miteinander vernetzen – wobei FEMDEX als solches nicht mehr aktiv ist. Sie haben Umfragen durchgeführt, bei denen die Problematik deutlich wurde: Die Ergebnisse zeigen, dass 65 Prozent aller Acts bei elektronischen Musikfestivals zwischen 2017 und 2019 männlich waren. Regional betrachtet: In Wien waren zwischen 2014 und 2016 rund 90 Prozent der Line-Ups bei Events mit elektronischer Musik mit Männern besetzt.


Nicht nur female:pressure und FEMDEX, sondern viele weitere Netzwerke machen es sich zur Aufgabe, die fehlende Diversität und Ungleichheit aufzuzeigen. So auch das Netzwerk PUSH – bestehend aus vier FLINTA*-DJs, die seit mittlerweile mehr als einem Jahr FLINTA*-Artists in der Technoszene vernetzen sowie Netzwerkstrukturen und Safe Spaces erschaffen. Entstanden ist die Idee ursprünglich durch das Interesse für Feminismus in der Clubszene. Eine der vier FLINTA*-DJs ist Sophie aka DJ Caniche. Sie ist erst vor Kurzem von Wien nach Berlin gezogen und hat das Netzwerk PUSH mit aufgebaut. "Wir haben uns grundlegend gedacht, dass es schön wäre, eine Netzwerkstruktur zu haben, wo man sich über alles austauschen kann. Aber aus der Perspektive von FLINTA*-Artists", erklärt Caniche die Grundmotivation vom Netzwerk “PUSH“ das seine Wurzeln in Wien hat.


Masha Dabelka - Gründerin der ersten DJ-Schule für Frauen in Wien © Alexandra Dzhiganskaya


Sexistische Töne


Die vielfältigen Gründe für die fehlende Diversität in der elektronischen Musikszene lägen – teils tief verankert – im klischeehaften Rollenbilddenken, sagt Caniche. "Wir haben alle ein bisschen gemerkt, dass wir uns in der einen oder anderen Art vielleicht auch zurückhalten, wenn wir die ganze Zeit mit Männern zu tun haben“, sagt sie und spricht damit an, dass sie sich in der Männer-dominierten Szene manchmal ein wenig als Außenseiter:in gefühlt hätte. Diese Außenseiterrolle, die FLINTA*-Künstler:innen einnehmen würden, würde auch von dem Begriff „DJane“ befeuert, der früher benutzt wurde, um Frauen im Line-Up „zu kennzeichnen“.


Viele lehnen diese Bezeichnung strikt ab. So auch Masha Dabelka. Sie hat in Wien die erste DJ-Schule für Frauen gegründet und macht deutlich, dass "DJ" die Abkürzung von „Discjockey“ sei: "Ich heiße nicht 'Jane'. Ich bin Masha, warum muss ich mich 'Jane' nennen? 'DJ' ist super kurz und super to-the-point sozusagen. Das ist eine 'Discjockey'-Abkürzung und das ist ein englisches Wort. Wir können das nicht in eine weibliche Form ändern." Der englische Begriff "DJ" ist geschlechtsneutral und schließt somit keine Personen aus. Der Begriff "DJane" hingegen tut das schon.


Caniche spricht ihre persönliche Erfahrung mit der Problematik an, dass es bei FLINTA*-DJs stärker um Äußerlichkeiten ginge. Während man bei männlichen DJs den Fokus auf das Handwerk und die Fähigkeiten lege, höre sie in ihrem Freund:innenkreis bei weiblichen DJs eher Kommentare wie: „Die hat aber ein tolles Outfit an!“ Wenn FLINTA*-Künstler:innen auflegen schwingen oft – wie in anderen Lebensbereichen – sexistische Töne mit.


Symbolfoto Turntablista - Erste DJ-Schule für Frauen

Mit ihrer DJ-Schule möchte Masha ein starkes Rollenbild schaffen © Mariya Vasileva/Daryna Eder


FLINTA* und die Technik


Die Musiksoziologin Rosa Reitsamer beschäftigt sich in einem wissenschaftlichen Artikel mit der Frage nach den Gründen für die geringe Anzahl an DJ-Frauen in elektronischen Musikszenen. Sie kommt unter anderem zum Schluss, dass DJ-Frauen häufig aus den informellen Netzwerken der Musikszenen ausgeschlossen seien und weniger Anerkennung für ihre Auftritte bekämen.


Die Diskriminierung, die die Musiksoziologin anspricht, kennt Caniche auch aus der Praxis: "Das hat sicher damit zu tun, dass generell irgendwie ja alles, was mit Technik, Maschinen zu tun hat eben nicht als ein primär weiblicher Skill wahrgenommen wird, sondern eher als ein männlicher." Die Zuschreibung von Eigenschaften kann verunsichern, vor allem wenn es darum geht, technische Fragen im Bezug auf das Handwerk zu stellen. Das sei auch oft ein Grund gewesen, weshalb sie sich ein wenig fehl am Platz gefühlt hätte oder unsicher gewesen sei. Ihr hätte oft der Mut gefehlt, Dinge anzusprechen, weil sie die Befürchtung gehabt hatte, sich ungeschickt anzustellen. Dabei hat das Vorurteil, dass FLINTA*-Personen sich mit Technik weniger gut auskennen würden als Männer, mit der Realität nichts zu tun.


Stereotype spielen also hinein in die Unsicherheiten, die viele FLINTA*-Künstler:innen spüren. Hier wird die Wichtigkeit von Netzwerken deutlich. Insbesondere die geschaffenen Safe Spaces sind ein wertvolles Instrument für alle Künstler:innen, um einen Platz in der Szene einzunehmen. "Eigentlich ist das ja auch der Grund, dass wir diesen Safe Space selber gegründet haben, um da mehr Selbstvertrauen zu gewinnen. Um auch andere Leute zu bestärken - auch die, die jetzt gerade erst anfangen, für die das alles noch neu ist", sagt Caniche. Es brauche Zeit und Möglichkeiten, Dinge in einem sicheren Rahmen ansprechen zu können.


Sophie aka DJ Caniche am DJ-Pult

Sophie aka DJ Caniche vom Netzwerk "PUSH" © Philippe Gerlach



Verantwortung und Empowerment


Sandro Nicolussi ist Chefredakteur beim Magazin „the Gap“ und selbst Akteur in der Szene. Er bestätigt, dass Clubs meist männliche Besitzer hätten und die Bookings ebenfalls meist von Männern durchgeführt würden. Damit Bestrebungen nach ausgeglichenen Line-Ups Erfolg haben, müsse hier eine Diversifizierung passieren. Diese Meinung teilt auch Grace Schella – DJ und Mitglied von female:pressure. Durch ihre Mitarbeit bei den FACTS-Umfragen und als Teil der IG Club Kultur nimmt sie eine Expert:innenrolle ein. Sie sieht einen Teil des Problems bei den Geschlechtsidentitäten der Booker:innen. "Da geht es um grundsätzliche Fragen zu Diversität aber speziell eben auch zu FLINTA*. Wer booked jetzt Artists? Wenn sich das zum Beispiel jemand wie eine Marlene Engel (Kuratorin vom Hyperreality Festival für Clubkultur) zum Thema macht, funktioniert das auch", betont Grace Schella und deutet darauf hin, dass das Line-Up anders aussähe, wenn Frauen buchen.


Auf individueller Ebene versucht Masha das Selbstbewusstsein von FLINTA*-Künstler:innen zu stärken, indem sie ihnen niederschwellig Zugang zum Mischpult verschafft. Mit ihrer DJ-Schule möchte sie eine Andockstelle für angehende DJs bieten. Gemeinsam mit Grace Schella hat sie zum Beispiel einen DJ-Workshop, der speziell auf Frauen ausgerichtet war, in Sankt Pölten geleitet. Auch Grace Schella findet klare Worte, wenn es um das Thema Verantwortung und Empowerment geht: "Wir brauchen ja Männer in dem ganzen Wandel genauso, die uns unterstützen in unseren feministischen Anliegen. Allerdings würde ich meinen, dass da dieses Selbstbewusstsein der Frauen selbst gestärkt werden muss und man den Mädchen und jungen Frauen und inter trans lesbischen Menschen einfach wirklich gut zuspricht und ihnen diese Möglichkeiten niederschwellig offeriert."



Positiv - aber nicht zufriedenstellend


Die Szene steht nicht still. Zwar werden noch immer vergleichsweise weniger FLINTA*-Künstler:innen auf internationalen elektronischen Musikfestivals gebucht, doch laut dem Ergebnis der letzten FACTS-Umfrage von female:pressure steige der Anteil. Die internationalen Zahlen ließen sich auch auf Wien übertragen, erklärt Grace Schella: "Auf der Club-Ebene würde ich mal sagen ist das Ergebnis zum Teil schon umlegbar. Ich kann mir vorstellen, dass wir im FLINTA* oder LGBT-Bereich schon ein bisschen besser dastehen als international. Dennoch sind hier diese Prozentsätze so wahnsinnig gering, verglichen mit der Männer-Beteiligung, dass da noch sehr viel Arbeit vor uns liegt."


Von einer Gleichberechtigung kann also noch keine Rede sein. Die Gründe dafür sind vielfältig: Stereotype verunsichern potenzielle FLINTA*-DJs und halten sie von den Turntables fern. Caniche weist zwar daraufhin, dass manche Booker:innen bereits Wert auf Vielfalt in ihren Line-Ups legen aber sie betont auch: "Der gute Wille allein geht dann meistens im ganzen Prozess wieder verloren, weil es dann vielleicht doch zu aufwendig ist. Dadurch, dass FLINTA*-Artists vielleicht generell weniger Präsenz haben als männliche Artists, ist es nicht so einfach, die direkt aufzuspüren."


Genau deshalb braucht es Netzwerke wie PUSH und female:pressure sowie Initiativen wie jene von Masha, da sie in der Förderung geschlechterdiverserer Line-Ups wichtig sind. Sie empowern, sorgen für Sichtbarkeit und stellen Ressourcen zur Verfügung, die von den Menschen, die Veranstaltungen kuratieren, genutzt werden können.

 

Weitere Informationen zur ersten DJ-Schule für Frauen in Wien und zu den genannten Netzwerken findest du hier:


TURNTABLISTA - Die erste DJ-Schule für Frauen in Österreich, gegründet von Masha Dabelka, möchte ein starkes Rollenbild für angehende Musiker:innen schaffen


female:pressure - Die Plattform vernetzt weltweit FLINTA* Artists aus der elektronischen Musikszene


PUSH - Das Netzwerk verbindet FLINTA*-DJs in ganz Europa miteinander


 

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