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Erste Hilfe beim Horrortrip

Tagelanges Feiern gepaart mit Drogenkonsum – auch für erfahrene Festival-Besucher*innen kann der Partytraum schnell zum "Bad Trip" werden. Sogenannte "Tripsitter*innen" passen während des Drogenrausches auf. Sie sind die Ersthelfer*innen beim Horrortrip.


TEXT, FOTOS, GRAFIK: SANDRA SCHOBER

VIDEO: CHIARA SWATON

ILLUSTRATION: CARLA MÁRQUEZ


Alles beginnt sich zu drehen, Wände kommen näher, Stimmen vom Gegenüber verhallen in der Ferne. Das Gefühl für Zeit verändert sich und plötzlich erscheinen die kleinen Sorgen des Alltags ganz fern. Stattdessen macht sich aber eine ganz existenzielle Angst breit. Auch der Herzschlag beschleunigt sich, gemeinsam mit der Atmung. So kann sich ein sogenannter "Bad Trip" oder "Horrortrip" – also eine negative Erfahrung im Zusammenhang mit Drogenkonsum – anfühlen.



Viele haben solche oder ähnliche Situationen bereits mit legalen Drogen, wie zum Beispiel Alkohol, erlebt. Nach dem überstandenen Kater am nächsten Tag geht es den meisten Menschen wieder besser. "Flashbacks", also das Wiederauftreten des Rauschzustandes nach Wochen oder Monaten ohne erneuter Drogeneinnahme, treten bei Alkohol nicht auf – ganz im Gegenteil zu anderen Drogen. Selbst nach der negativen Erfahrung können Substanzen noch lange nachwirken.


"Ich habe geglaubt ich bin in einem kaputten DVD-Player und die DVD springt die ganze Zeit zurück an denselben Punkt." - Vincent

"Die prägnanteste 'Bad Trip'-Erfahrung hatte ich bisher mit LSD", erinnert sich Vincent. An einem warmen Sommertag nimmt er das Halluzinogen gemeinsam mit seiner Freundin an einem Strand. Eigentlich ist es eine wunderschöne Umgebung. Trotzdem ist die Erfahrung für Vincent alles andere als positiv. "Ich habe mich selber verloren", beschreibt er jenen Sommertag. Ein Strudel aus Gedanken und Sinneseindrücken führt dazu, dass seine Wahrnehmung nachhaltig beinträchtigt wird. Vincent überkommt ein sehr beängstigendes Gefühl: die Angst, nicht mehr zu sich selbst zu finden. Sie wächst mit jeder Sekunde. Er verliert aber nicht nur den Bezug zu sich als Mensch, sondern auch den Bezug zur Zeit: "Wenn ich aufhöre, eine Sekunde als eine Sekunde zu empfinden, dann wird sie zu einer Ewigkeit." Eine Ewigkeit, die Vincent zunehmend bedrückt.


Seine größte Angst ist, dass er aus diesem Zustand nie wieder herauskommt und "picken bleibt". Doch Vincent findet wieder zurück und fühlt sich wieder eins mit seinem Körper – das ist aber nicht von langer Dauer. Wieder erlebt er die gleichen Zustände wie zuvor, hat das Gefühl sich selbst und das Verständnis für Raum und Zeit zu verlieren. Sein Horrortrip fühlt sich an wie eine sich ständig wiederholende Ewigkeit. "Ich habe geglaubt ich bin in einem kaputten DVD-Player und die DVD springt die ganze Zeit zurück an denselben Punkt." Diese Gefühlsspirale begleitet Vincent noch lange.



Drug, Set und Setting


Erfahrungen wie jene von Vincent sind sogenannte "psychedelische Zustände". Sie beschreiben die erhöhte Empfänglichkeit der Sinneskanäle, wodurch sich das Raum-Zeit-Erleben verändert. Solche geistigen Zustände werden vor allem durch halluzinogene Drogen wie etwa psychedelische Pilze, oder auch "Magic Mushrooms", LSD oder MDMA (Ecstasy) verursacht. Aber auch im Kunst- und Musikbereich wird der Begriff psychedelisch verwendet, beispielsweise für 'psychedelic Rock' – eine Musikrichtung, die sich Im Laufe der 1960er Jahre in den USA und Großbritannien entwickelte. Die mit Abstand bekannteste Psychedelic-Rock-Band ist Pink Floyd.

Bei einem Horrtrip kann das Gefühl für Raum und Zeit völlig durcheinander geraten


Ausschlaggebend für die Wirkung und das Risikopotenzial von Drogen sind vor allem drei Faktoren: Drug, Set und Setting. Zum einen können die Auswirkungen des Konsums je nach Droge anders ausfallen, insbesondere Dosierungen und Einnahmeformen sind zu beachten. Set beschreibt die körperliche und psychische, gesundheitliche Verfassung einer Person. Speziell Menschen, die psychisch anfällig sind, können nach der Einnahme von Drogen Langzeitfolgen, wie zum Beispiel eine Abhängigkeit, davontragen oder Psychosen entwickeln.


"Für eine Person, die gut gelernt hat, auf andere zuzugehen und das Bedürfnis nach sozialen Kontakten befriedigen kann, wird eine Substanz, die es leichter macht, sich anderen zu öffnen und Kontakte herzustellen, weniger wichtig und damit kontrollierbarer sein. Andersherum: Wenn einem das schwerfällt, dann kann eine Substanz durchaus wichtig werden, sodass es schwer wird darauf zu verzichten", erklärt Steve Müller, psychosozialer Berater bei der Drogenberatungsstelle checkit!, im Gespräch mit amrand.at.


Aber auch unverarbeitete traumatische Erlebnisse können durch den Konsum von (halluzinogenen) Substanzen wieder hervorgebracht werden. "Keiner von uns weiß, was wir in unserer Psyche oder im Unterbewussten mit uns herumtragen, was dann im Rausch an die Oberfläche gespült wird und wie es einem danach geht", so Müller. Neben Drug und Set ist auch das Setting, also der Konsumort beziehungsweise die Konsumsituation, ein wesentlicher Faktor.


"Der Konsum der meisten Substanzen und Drogen ist illegal. Es gibt daher kein Rahmenwerk, was zu tun ist, wenn etwas schiefgeht." - Orsi*

Eine Anlaufstelle für Menschen, die ähnliches erleben wie Vincent, ist PsyCare Austria. Der Verein setzt sich für "Harm Reduction" (Schadensverminderung) im Zusammenhang mit psychoaktiven Substanzen ein. "Ganz am Anfang unserer Arbeit steht die Einsicht, dass es viele Menschen gibt, die einfach gerne Substanzen konsumieren", beschreibt Marlene die Arbeit von PsyCare. Gemeinam mit ihrer Kollegin Orsi hat sie den Verein gegründet, den die beiden auch heute noch zusammen leiten. "Der Konsum der meisten Substanzen und Drogen ist illegal. Es gibt daher kein Rahmenwerk was zu tun ist, wenn etwas schiefgeht", ergänzt Orsi*.

Der Verein PsyCare Austria ist unter anderem bei Festivals präsent und leistet Menschen Unterstützung, die einen "Bad Trip" erleben (c) PsyCare Austria


Genau darin liegt der Hauptfokus ihrer Arbeit. Gemeinsam mit seinen Mitgliedern fährt der Verein zu Festivals und Partys, um Menschen zu betreuen, die negative Erfahrungen mit Drogen machen. Häufig kommen Betroffene selbst zu ihnen oder werden von Freund*innen oder auch Securitys gebracht. Danach gilt es abzuklären, ob jemand medizinische Versorgung benötigt und zu den Sanitäter*innen gebracht werden muss. "Die meisten Menschen, die zu uns kommen, sind keine medizinischen Notfälle. Die haben Angst und glauben möglicherweise, dass sie sterben", erzählt Marlene. Diese Angst gilt es bei der Horrortrip-Ersthilfe zu nehmen.


Die meisten "Horrortrips" erleben die Gründerinnen bei Menschen, die mehr als eine Substanz eingenommen und somit Mischkonsum betrieben haben. In Kombination mit Schlafmangel kann sich nach einigen Tagen auf dem Festivalgelände der Drogenkonsum besonders negativ auf die Psyche auswirken. "Es ist ein Mix aus Substanzen und Schlafmangel oder psychologischen Faktoren wie etwa Traumata", so Orsi.

Grundsätzlich wird zwischen halluzinogen wirkenden Pflanzen und künstlich hergestellten Halluzinogenen unterschieden. Weitere Informationen (auch zu nicht halluzinogenen Substanzen) findest du hier


Rund zehn bis 20 Minuten ist Vincent in seinem Horrortrip gefangen. "Es war kurz im Vergleich mit der gesamten Erfahrung. Aber für mich hat es sich angefühlt wie eine Ewigkeit", berichtet er. In solchen Momenten kann die Anwesenheit einer anderen Person, die gut zuredet, bereits helfen, um vom Horrortrip zurück in die Realität zu finden. "Manchmal ist auch eine schwere Decke um die Schulter gelegt schon sehr beruhigend", erklärt Marlene von PsyCare Austria. Es hilft den Betroffenen im ersten Moment am Besten, einfach zu wissen, dass jemand da ist und dass sie nicht alleine sind. Irgendwann lässt die Wirkung der Droge dann nach – so auch bei Vincent. Auch seine Angst verschwindet und er findet wieder zurück – zu sich selbst und ins Hier und Jetzt. Doch die Erfahrung holt ihn noch einige Male wieder ein.


"Jeder Mensch, der in irgendeiner Weise belastende Probleme hat, hat sich Unterstützung verdient. Punkt aus." - Steve Müller

"In den allermeisten Fällen legen sich solche Symptome mit der Zeit oder lassen sich auf jeden Fall gut behandeln, wenn sich die betroffene Person die passende Unterstützung holt", weiß Müller von checkit!. Auch wenn die Erfahrungen und psychischen Folgen nach einem Substanzkonsum von Person zu Person sehr unterschiedlich ausfallen, ist eine Besserung immer möglich. Je schneller Betroffene Hilfe suchen und Unterstützung annehmen, desto eher kann eine "Chronifizierung" verhindert werden. Dazu müsste auch das Thema psychische Gesundheit im Allgemeinen enttabuisiert werden, findet der psychosoziale Berater: "Weil jeder Mensch, der in irgendeiner Weise belastende Probleme hat, hat sich Unterstützung verdient. Punkt aus."



Berauscht ohne Droge


Ob halluzinogene Wirkung oder nicht – grundsätzlich bewirken alle psychoaktiven Substanzen eine Veränderung des Bewusstseins. Sowohl Alkohol, Opioide und Schlafmittel als auch Koffein, Halluzinogene oder Tabak greifen in das Neurotransmitter-Gleichgewicht ein. Neurotransmitter sind Botenstoffe, welche die Kommunikation der über 100 Milliarden Nervenzellen im Gehirn kontrollieren. Psychoaktive Substanzen verstärken oder hemmen die Ausschüttung dieser Neurotransmitter. Dadurch ändert sich die Wahrnehmung und das Empfinden. Übermäßiger Konsum kann den Neurotransmitter-Haushalt im Gehirn nachhaltig beeinflussen, weshalb manche Substanzen, wie etwa Ketamin, Heroin, Opioide, Methamphetamin, Kokain oder Alkohol, ein sehr hohes Abhängigkeitspotenzial haben.

Unterschiedliche Drogen wirken sich allerdings auf unterschiedliche Regionen im Gehirn aus – somit variieren auch die Wirkungen und Risiken. MDMA (Ecstasy) beeinflusst etwa die Serotonin-Ausschüttung und greift so ins Gefühlszentrum ein. Positive wie auch negative Gefühle verstärken sich und, unter anderem, ein Gefühl der Verbundenheit mit anderen kann entstehen. Dieses Gefühl kann im Fall von MDMA bis zu 6 Stunden wirken, Nacheffekte sogar bis zu 24 Stunden.


"Was ist, wenn ich wieder die Kontrolle über mein gesamtes Bewusstsein verliere ? Dieses Gefühl hat noch sehr lange nachgewirkt." - Vincent

Neben dem Suchtpotenzial bergen Drogen auch die Gefahr psychischer Langzeitfolgen. Auch wenn Abhängigkeiten von LSD oder Psilocybin nicht bekannt sind, können – auch bei einmaligem Konsum – Psychosen entstehen. Insbesondere hohe Dosierungen und häufiger Konsum können die Wahrscheinlichkeit für Langzeitfolgen erhöhen, ebenso wie Mischkonsum. Auch das Wiedererleben des Rauschzustandes ohne erneuter Drogeneinnahme ist möglich.


Vincent erlebt zwar keine „Flashbacks“, aber die Stimmung, die er während des Drogenkonsums erfährt, kehrt hin und wieder zurück. "Was ist, wenn ich wieder die Kontrolle über mein gesamtes Bewusstsein verliere? Dieses Gefühl hat noch sehr lange nachgewirkt", erinnert er sich. Der Gedanke, dass er selbst nicht echt sei, begleitet ihn noch lange nach seinem "Bad Trip" und auch die Angst, dass ihn dieses Gefühl plötzlich wieder einholen könnte. Er habe dadurch aber auch gelernt, mit anderen Teilen von sich selbst umzugehen, die erst durch den Drogenkonsum hervorgetreten sind. "Mittlerweile konsumiere ich nicht mehr so viel bis gar nicht mehr", sagt Vincent heute.


Europaweit ist Drogenkonsum sehr unterschiedlich verbreitet. Im jährlichen Bericht der EMCDDA (European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction) lässt sich unter anderem die Verbreitung von MDMA (Ecstasy) unter jungen Erwachsenen im Alter von 15-34 Jahren ablesen. Demnach konsumieren 6,9 Prozent der jungen Niederländer*innen MDMA. In Portugal, Rumänien und der Türkei sind es nur 0,2 Prozent.


Vom Horrortrip zum Helfer


Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Drogenkonsum lassen sich noch nicht eindeutig ablesen. "Es gibt Menschen, deren Konsum sich reduziert hat, weil sie nur Partykonsum betrieben haben. Also: keine Party, kein Konsum", berichtet Müller von checkit!. Im Gegensatz dazu gibt es aber auch Menschen, deren Konsumbedürfnis durch die Corona-Maßnahmen verstärkt wurde. "Bei anderen, die konsumieren, wenn sie einsam sind, hat der Konsum natürlich zugenommen." Je nach Lebenssituation hat die Pandemie die Konsumkontrolle für manche Menschen begünstigt, für andere wiederum erschwert.

Heute hilft Vincent bei PsyCare anderen Menschen bei ihren "Horrortrips"


In Österreich ist der Besitz, Verkauf und Konsum von psychoaktiven Substanzen im Suchtmittelgesetz (SMG) geregelt. Umgangssprachlich wird zwischen "legalen" Drogen wie zum Beispiel Alkohol oder Nikotin und "illegalen" Drogen wie etwa Kokain unterschieden. "Illegal" sind Substanzen dann, wenn sie dem Suchtmittelgesetz unterliegen. Außerdem wird zwischen sogenannten "harten" und "weichen" Drogen unterschieden. Cannabis oder LSD zählen zu den "weichen" Drogen, weil sie zwar eine psychische, nicht aber eine physische Abhängigkeit verursachen können. Im Gegensatz dazu können "harte" Drogen wie etwa Alkohol, Nikotin oder Heroin auch physisch abhängig machen.


"Wenn wir vor Ort sind, gibt es weniger medizinische Interventionen, weniger Menschen müssen ins Krankenhaus. Und wir sehen auch weniger Verhaftungen." - Marlene

Für PsyCare Austria ist klar: es braucht Aufklärung und Hilfe statt Stigmatisierung und Abdrängen in die Kriminalität. "Wenn wir vor Ort sind, gibt es weniger medizinische Interventionen, weniger Menschen müssen ins Krankenhaus. Und wir sehen auch weniger Verhaftungen", hält Marlene fest. Auch Vincent hätte sich bei seinem Horrortrip am Strand Unterstützung wie jene von PsyCare gewünscht, heute ist er selbst Mitglied. Mitunter dank seiner persönlichen Erfahrung kann er anderen Menschen in einer ähnlichen Situation helfen, sodass der „Bad Trip“ wie bei ihm zu einer lehrreichen Erfahrung werden kann.


*Das Interview wurde zum Teil auf Englisch geführt und von der Redaktion ins Deutsche übersetzt.

 

Beratung und Hilfe


Kein Drogenkonsum ist ohne Risiko. Bei einem medizinischen Notfall (etwa Atemnot, Herzstillstand oder Bewusstlosigkeit) unverzüglich den Notruf (in Österreich: 144 oder 112) wählen und Erste Hilfe leisten. Auch der Psychosoziale Notdienst (+43 1 31330) ist in Notfällen rund um die Uhr erreichbar.


Informationen, Beratung und Drugchecking bietet die Beratungsstelle der Suchthilfe Wien (checkit!) kostenfrei, anonym und vertraulich unter +43 1 4000 53655 oder online.


Eine Auflistung weiterer Anlaufstellen des Gesundheitsportals Österreich findest du hier.

 

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Im Rahmen unseres Schwerpunktes Glücksspiel(sucht) haben wir bereits mit einem Psychiater über Glücksspielsucht gesprochen. In diesem Animationsvideo erfährst du außerdem wie (Glücksspiel)-Sucht funktioniert und was die Beeinflussung von Neurotransmittern im Gehirn bedeutet.

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