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Schmutziges Blut

"Gib dein Bestes!" heißt es, wenn es ums Blutspenden geht. Trotz des hohen Bedarfs wurden homosexuelle Männer bis vor kurzem von der Blutspende ausgeschlossen. Der Grund dafür: Die Angst vor HIV und AIDS.


TEXT: LUKAS MAYR


Es spielt Popmusik in der Blutspendezentrale des Roten Kreuzes in Wien. Steriles Licht der LED-Lampen durchflutet den Raum. Die Umgebung wirkt kalt, medizinisch, auf dem Boden steht in Blockschrift "Blut spenden, Leben retten!". Nur wenige Menschen sind hier. Ein freiwilliges Mitglied des Roten Kreuzes drückt den Hereinkommenden einen Fragebogen in die Hand. Er fordert sie auf, diesen durchzulesen und auszufüllen. Der Fragebogen besteht aus 37 Fragen, auf welche mit Ja oder Nein geantwortet werden kann. So will das Rote Kreuz abklären, ob eine Zulassung zur Blutspende möglich ist. Dann kommt es zu einem Ärzt:innengespräch, bei dem der Fragebogen durchgegangen wird. Bei Frage 37 handelt es sich um die Schicksalsfrage: "Hatten Sie in den letzten zwölf Monaten eines der folgenden Risikoverhalten: Sexdienstleistung gegen Geld oder Drogen, mehr als drei Sexualpartner:innen, als Mann Sex mit einem Mann". Wenn bis vor kurzem diese Frage mit Ja beantwortet wurde, unterbrach die Ärztin oder der Arzt das Gespräch, und erklärte, dass man aus Sicherheitsgründen von der Blutspende ausgeschlossen wird.


Ein Ausschluss kann unterschiedliche Gründe haben. So gibt es nach einem Auslandsaufenthalt in Brasilien oder auch nach einem Zahnarztbesuch eigene Regelungen. Die wissenschaftliche Erklärung für die verschiedenen Verbote ist der Schutz vor schweren, durch Blut übertragbaren Krankheiten. Zu diesen gehört auch HIV, welches bei ungeschütztem Anal- oder Vaginalverkehr übertragen wird. HIV ist ein Virus, das die körpereigene Immunreaktion schwächt. Ohne Therapie kann das Virus zu Aids führen. Dies sind die durch den immun geschwächten Körper entstehenden Krankheiten. Der Geschlechtsverkehr zwischen zwei Männern wurde so als Risikoverhalten eingestuft und eine einjährige Spendensperre vorgeschrieben.


Es wird eine Person zur Blutspende vorbereitet

Es wird eine Person zur Blutspende vorbereitet. ©Pixaby Annett Klinger



Diskriminierungsvorwürfe


"Es ist eindeutig diskriminierend. Hier wurde eine ganz bestimmte Gruppe aufgrund eines Faktors, der vielleicht in den Achtzigern relevant war, ausgeschlossen."

Doch wie hoch ist das Risiko für Homosexuelle, sich an HIV zu infizieren, wirklich? Im Jahr 2020 gab es in Österreich 332 Neuinfektionen, etwa die Hälfe davon sind auf Männer zurückzuführen, die Sex mit Männern hatten. Schwule Männer machen rund vier Prozent der Bevölkerung aus. Statistisch gesehen ist somit die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich mit HIV infizieren, deutlich höher.


Außer Acht gelassen wird hier die Dunkelziffer. In Österreich gibt es laut der AIDS Gesellschaft etwa 9.000 HIV-Positive. Studien des Zentrums für Virologie der Medizinischen Universität Wien zeigen, dass knapp 10% dieser Infizierten über ihre Infektion nicht Bescheid wissen. Bei Männern, welche Sex mit Männern haben, wird eine Infektion deutlich früher und schneller erkannt. Denn diese würden sich häufiger testen lassen und seien für sie Prävention von einer HIV-Infektion sensibilisiert.


Vor der Abschaffung des Verbots argumentierte das österreichische Rote Kreuz deshalb, dass das Verbot nur aus medizinischen Gründen bestehe. "Das Rote Kreuz trägt die medizinische Verantwortung, Österreich mit sicheren Blutkonserven flächendeckend zu versorgen. Es ist aber Aufgabe der Politik, gesellschaftliche und gesundheitliche Interessen abzuwägen", betont Ursula Kreil, Transfusionsmedizinerin des Österreichischen Roten Kreuzes. Sie beruft sich zudem auf einen der Grundsätze des Roten Kreuzes: der Unparteilichkeit. Dies bedeutet, dass das Rote Kreuz nicht zwischen religiöser, politischer oder sexueller Orientierung unterscheidet. Außerdem hatte man sich nur an die Vorgaben der Behörden gehalten. Das Rote Kreuz weist folglich jeglichen Vorwurf der Diskriminierung zurück.


Ganz anders sieht das die Homosexuellen Initiative Wien, kurz HOSI.  Laut Ann-Sophie Otte, Obfrau der Initiative wurde und wird mit HIV falsch umgegangen. "Es ist eindeutig diskriminierend. Hier wurde eine ganz bestimmte Gruppe aufgrund eines Faktors, der vielleicht in den Achtzigern relevant war, ausgeschlossen.", sagt sie. Vor Abschaffung des Verbots wurde jeder homosexuelle Mann ausgeschlossen. Ihnen wurde aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, sexuelles Risikoverhalten vorgeworfen. Es wurde somit kein Unterschied gemacht, ob es sich um jemanden handelt, der seit fünf Jahren in einer monogamen Partnerschaft lebt oder ob dieser regelmäßiger Gast von Sexpartys ist. Otte kritisiert, dass folglich eine ganze Bevölkerungsschicht ausgegliedert wurde, ohne genauer über das individuelle Verhalten Bescheid zu wissen. Weiters motiviert sie ihre Aussage dadurch, dass Heterosexuelle somit die gleiche Art von Risiko-Geschlechtsverkehr praktizieren konnten, wie Homosexuelle und trotzdem nicht von einem Ausschluss betroffen waren.


Zudem sind Männer, welche Sex mit Männern haben, durch diesen Ausschluss dazu gezwungen worden zu lügen. Eine Umfrage des deutschen Vereins Schwules Blut unter 1.200 Betroffenen hat ergeben, dass jeder zweite Befragte trotz Verbot Blut gespendet hat. Das Lügen hatte grundsätzlich keine rechtlichen Folgen. Außer es wird nachgewiesen, dass man bewusst infektiöse Blutkonserven in den Umlauf gebracht hat.



Lösungsansätze


Es gab schon lange verschiedene Vorschläge zur Veränderung der Regelung. Jede Blutspende wird mittels PCR-Test auf Krankheitserreger untersucht. Viren bzw. virusspezifische Antikörper können so festgestellt werden. Doch «Selbst bei modernsten Tests bleibt ein Restrisiko für Übertragung einer Infektion, da in einem frühen Krankheitsstadium die Infektion noch nicht im Blut nachgewiesen, aber bereits übertragen werden kann», sagt Ursula Kreil. Ein PCR-Test erkennt nämlich erst zwei Wochen nach einer HIV-Infektion die Krankheitserreger. Trotz Testung kann man so nicht zu 100 % sicher sein, ob die Person Träger:in ist oder nicht.


In anderen EU-Ländern gab es schon seit längerer Zeit verschiedenste Systeme, um das Risikoverhalten festzustellen. So wird in Italien und Spanien das individuelle Risikoverhalten der Spender:innen bewertet. Um dieses zu ermitteln, werden genaue Sexualpraktiken abgefragt. Vor allem wird hier darauf Wert gelegt, dass die Spender:innen keinen ungeschützten Geschlechtsverkehr hatten. Laut Aussagen des Roten Kreuzes wurde das Abfragen der Sexualpraktiken in Österreich nicht gemacht, da man fürchtete, zu viele konservative Spender:innen in den ländlicheren Gebieten zu verlieren.



Politisches Zögern


Der Weg zur vollkommenen Abschaffung des Gesetzes ist ein langer. So kündigte der ehemalige Gesundheitsminister Rudolf Anschober 2020 an, das Verbot ganz abschaffen zu wollen. Dies passierte nicht. Zu Beginn des Jahres 2021 kam es durch Forderungen der NEOS und der SPÖ zu einem Expert:innenhearing im Gesundheitsausschuss. Hier wägten Fachkundige die Vor- und Nachteile der Blutspende-Situation ab. Im Anschluss gab es eine Abstimmung. NEOs, SPÖ und FPÖ stimmten in Mehrheit für die Abschaffung des Verbotes. Grüne und ÖVP stimmten dagegen. Die Koalitionsparteien entschieden die Abstimmung für sich, das Verbot blieb unverändert.


Im März 2021 kündigte Anschober an, das Verbot nicht abzuschaffen, sondern die Wartezeit zu verkürzen. Demnach dürften homosexuelle Männer nach vier Monaten ohne Geschlechtsverkehr für eine Blutspende zugelassen werden. Dies passierte ebenfalls nicht.


Nun wurde angekündigt, dass das Verbot ganz abgeschafft werden soll. Bei der neuen Regelung sollen alle Personen, die in den drei Monaten vor der Blutspende mehr als drei Sexualpartner:innen hatten, als Risikopersonen eingestuft werden. Gelten werde die neue Regelung ab dm Herbst und nach zwei Jahren wird sie evaluiert werden. Die HOSI will aber noch auf den genauen Gesetzesentwurf warten, da befürchtet wird, dass dieser zu allgemein formuliert sei und so transidente Menschen immer noch ausgeschlossen werden.


Ein jahrelanger Kampf geht somit in die Zielgerade. Österreich ist europaweit eines der letzten Länder, das erst jetzt die Regelung verändert. Endlich wird also schwules Blut in Österreich brauchbar. 



DIESER ARTIKEL WURDE ABGEÄNDERT IN DER AUGUSTIN BOULEVARDZEITUNG VERÖFFENTLICHT



 

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