top of page

Der Preis des Glücks

Sebastian will in Kryptowährungen investieren und fällt dabei auf eine Betrüger-Website herein. Als er versucht, das verlorene Geld mithilfe von Glücksspielen rasch wieder zurückzugewinnen, wird er schnell spielsüchtig.


TEXT: PAUL MAIER; GRAFIK, VIDEO: SANDRA SCHOBER


Motive und Farben, die an Casino-Szenen aus einem James-Bond-Film erinnern. Großzügig anmutende Einstiegsboni, die als Geschenke und einmalige Angebote dargestellt werden. Mit einer hohen Gewinnsumme beworbene Spiele, bei denen die ersten Versuche kostenlos sind. Der Einstieg in Online-Casinos ist für potenzielle Spieler*innen verlockend. Firmen der Glücksspielbranche suggerieren immer wieder, dass der große Gewinn nur einen Klick entfernt sei.


Die Branche, die hinter dieser Welt steckt, ist kompliziert. Einen kurzen und leicht verständlichen Überblick über das Glückspiel in Österreich findest du in diesem Video:



Mit genau dieser Welt kommt Sebastian im Jahr 2018 in Berührung. Am Beginn seiner Geschichte ist er 25 Jahre alt. Er lebt gemeinsam mit seiner Frau in der Steiermark und ist Vater einer neugeborenen Tochter. Sein Leben verläuft zu diesem Zeitpunkt größtenteils in geregelten Bahnen. Doch ein Missgeschick im Internet hat schwerwiegende Folgen: In den bevorstehenden zwei Jahren wird er mit einer Spielabhängigkeit und deren Auswirkungen zu kämpfen haben.


Glücksspiel ist in Österreich ein ertragreiches Geschäft. Das liegt unter anderem daran, dass Spieler*innen hierzulande bereit sind, hohe Glücksspiel-und Wetteinsätze zu bezahlen. Bundesweit hat sich die Gesamtsumme dieser Einsätze seit dem Jahr 2002 mehr als vervierfacht. 2019 waren es zwar etwas weniger als im Jahr zuvor, auf längeren Zeitraum betrachtet ist allerdings ein kontinuierliches Wachstum erkennbar:

Allerdings sind nicht nur die Einsätze hoch, sondern auch der Umsatz der Glücksspielunternehmen. Laut der Marktstudie Branchenradar sind die österreichweiten Bruttospielerträge, also der Bruttogewinn der Glückspiel- und Wettbranche insgesamt, in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen. Das Vorjahr 2020 dürfte zwar coronabedingt eine Ausnahme gewesen sein, jedoch prognostiziert Branchenradar für dieses Jahr einen neuen Ertragsrekord:

Eigentlich hatte Sebastian keinerlei Absichten, mit intensivem Spielen überhaupt anzufangen. Im Jahr 2018 beginnt er, sich für Kryptowährungen zu interessieren. Das sind digitale Zahlungsmittel, die öffentlich gehandelt werden und in den vergangenen Jahren zeitweise sehr stark nachgefragt wurden. Sebastian findet eine Website, die vermeintliche Investmentmöglichkeiten für Kryptowährungen anbietet. Dort investiert er zwei hohe Geldsummen, insgesamt rund 25.000 Euro. Kurz darauf bemerkt er jedoch, dass diese Seite wohl doch kein seriöses Investmentportal ist er wurde betrogen. Als er das realisiert, ist sein erster Impuls, das verlorene Geld möglichst schnell zurückgewinnen zu wollen.


Verzweifelt versucht er sein Glück in Online-Casinos. Das ein oder andere Spiel erweckt auf den ersten Blick immerhin den Eindruck, eine realistische Chance auf einen Gewinn zu sein: "Wenn man Roulette anschaut, da gibt es Rot und Schwarz, also eine 50-zu-50-Chance. Auf lange Zeit verlierst du aber trotzdem." Neben Rot und Schwarz gibt es zudem noch eine Zahl auf grünem Grund, nämlich die Null.



Erfolge machen süchtig


Der Zeitpunkt, an dem zwangloses Spielen zu einer Abhängigkeit wird, ist schnell erreicht. Einzelne Erfolge geben Spieler*innen immer wieder den Ansporn, es weiterhin zu versuchen. Man könnte ja jederzeit kurz vor dem großen Gewinn stehen. Dass dafür viel Geld ausgegeben werden muss, ist für Sebastian kein Hindernis gewesen: "Während des Spielens habe ich nie an die Konsequenzen gedacht. Erst wenn man nach dem Spiel dann den Nuller auf dem Konto sieht, wird einem bewusst, dass man ein großes Problem hat."


"Ich habe über das Geld verfügt und gewusst, dass ich davor ein großes Minus gemacht habe. Ich habe mir gedacht, ich könnte mit dem einen großen Glückstreffer ja wieder all das verlorene Geld zurückgewinnen."

Er nimmt einen Kredit auf, um nach den hohen Spielausgaben wieder Geld für sich, seine Frau und seine neugeborene Tochter zu haben. Obwohl er weiß, wie viel er verloren hat, kann Sebastian nicht aufhören, zu spielen. Er ist fest entschlossen, den immer größer werdenden Verlust wieder zurückzugewinnen. Irgendwann, denkt er, muss es doch klappen. Im Nachhinein bereut er deshalb, diesen Kredit selbst aufgenommen zu haben: "Ich habe über das Geld verfügt und gewusst, dass ich davor ein großes Minus gemacht habe. Ich habe mir gedacht, ich könnte mit dem einen großen Glückstreffer ja wieder all das verlorene Geld zurückgewinnen."

Roulette ein Spiel mit fairer Gewinnchance? (c) Pixabay


Das ist grundsätzlich ein Teufelskreis, in den Glücksspielsüchtige hineingeraten: Je mehr Geld sie durch diese Spiele verlieren, desto höher wird der Druck, wieder an Geld zu kommen. Betroffene bekommen immer stärker das Gefühl, dass ein Gewinn im Spiel ihre einzige Chance ist, aus der Misere wieder herauszukommen. Doch mit Sebastians steigenden Schulden werden auch seine Probleme größer.


Durch Sucht in die Kriminalität


Um weiterspielen zu können, stiehlt er auch Geld. Das Unternehmen, bei dem er arbeitet, betreibt zusätzlich einen Eishockey-Verein. Bei diesem Verein hat Sebastian die Funktion des Kassiers inne, wodurch er direkten Zugriff auf die Finanzen hat. In dieser Position veruntreut er Vereinsgeld, was wenig später auffliegt. Das führt dazu, dass er von seinem Arbeitgeber entlassen wird. Auch die Situation im Verein ist für ihn dadurch sehr unangenehm. Es kostet ihn viel Überwindung, aber schließlich legt er alle Karten offen auf den Tisch und beichtet seinen Vereinskolleg*innen, was geschehen ist. Diese geben ihm eine zweite Chance: Alle Mitglieder stimmen geschlossen für den Verbleib von Sebastian im Verein. "Die Freundschaft hat überwogen", sagt er erleichtert. Vor ihm liegt allerdings noch ein langer Weg.


Anfang 2019 wird Sebastian aufgrund dieses Vorfalls vor Gericht geladen. Er hat Glück: Der Richter sieht Gutes in ihm und glaubt, dass seine Tat ein Ausrutscher war. Er bekommt drei Jahre auf Bewährung und kann durch die finanzielle Unterstützung seiner Eltern das veruntreute Geld an seinen ehemaligen Arbeitgeber zurückzahlen. Von diesem Zeitpunkt an führen er und seine Frau ein gemeinsames Bankkonto, sodass sie seine Ausgaben jederzeit kontrollieren kann.



Rückfall


Im Sommer 2019 wird Sebastian rückfällig. Er verspielt 1.500 Euro, die er gemeinsam mit seiner Frau angespart hat. Durch das Partnerkonto bekommt seine Frau dieses Mal sofort mit, was geschieht. Das ist Sebastian zutiefst unangenehm. Er will endlich einen Schlussstrich ziehen und entschließt sich, mit einer Psychotherapie zu beginnen.


"Wenn du im Fernsehen immer '100 Euro Anmeldebonus' siehst, also du meldest dich an, zahlst 100 Euro ein und bekommst nachher das Doppelte – mit dem locken sie die Leute halt."

Spielabhängige haben grundsätzlich wenig Kontrolle darüber, was sie tun. Der kognitive Neurowissenschafter Reza Habib hat durch eine Studie herausgefunden, dass das Gehirn von Spielsüchtigen anders auf Spielausgänge reagiert als das von Nicht-Süchtigen. Eine besonders wichtige Rolle spielt hier nicht die Reaktion auf tatsächliche Gewinne, sondern jene auf Beinahe-Gewinne: Abhängige werden durch diese ermutigt, ihr Glück noch einmal zu versuchen und weiter zu spielen. Andere nehmen einen Beinahe-Gewinn jedoch als Niederlage, also negativ wahr.


Beinahe gewonnen? Für Suchtkranke ein Ansporn, weiter zu spielen (c) Pixabay


Bei Süchtigen funktionieren gewisse Bereiche des Gehirns anders, weshalb sie ihr Spielverhalten kaum steuern können. Viele Glücksspielunternehmen wissen das und setzen deshalb gezielt auf eine hohe Zahl an Beinahe-Gewinnen, um dafür anfällige Personen zum Weiterspielen zu manipulieren.


Sebastian bekommt von seinem Psychiater zwei Medikamente verschrieben. Eines davon ist ein Schlafmittel. "Wenn du nachts alleine aufwachst und auf komische Gedanken kommst, dann ist das nicht gut", begründet Sebastian die Medikation. Die zweite verschriebene Tablette ist ein Antidepressivum, das ihn ruhig und bei Laune hält. "Wenn ich heute Fernsehwerbungen von Sportwetten und Online-Casinos sehe, dann berührt mich das nicht mehr. Dafür sorgt diese Tablette." Ohne Behandlung würde derartige Werbung schnell alte Reize hervorrufen, die einen wieder zum Spielen bringen können. Generell seien die Auswirkungen von TV-Werbespots für Glücksspielseiten nicht zu unterschätzen: "Wenn du im Fernsehen immer '100 Euro Anmeldebonus' siehst, also du meldest dich an, zahlst 100 Euro ein und bekommst nachher das Doppelte – mit dem locken sie die Leute halt."


Ein Entkommen aus der Suchtspirale ohne Therapie hält Sebastian für "nur schwer möglich". Allerdings gibt er zu Bedenken, dass die Lage der Einrichtung viele abschrecken könnte: "Das Büro des psychosozialen Zentrums liegt bei uns sehr zentral. Da hatte ich anfangs Angst, vielleicht beim Hineingehen von jemandem gesehen zu werden."



Schamgefühl und Anonymität

"Im Internet ist es einfach, keiner sieht mich. Ich gebe mein Bankkonto an und los geht's. Es ist heutzutage sicher leichter, süchtig zu werden."

Im Internet sind Spieler*innen anonym (c) unsplash


Sebastian war nicht nur in Internet-Casinos, sondern auch bei Automaten in einer Spielhalle unterwegs. Dort hat er Menschen gesehen, die zu Beginn des Monats ihr ganzes Geld in die Automaten stecken und dann bis Monatsende nichts mehr haben. Würde es das Glücksspiel nicht auch online geben, wäre er womöglich nie in diese Situation gekommen. In einer Spielhalle gesehen zu werden sorgt für ein Schamgefühl, ganz im Gegensatz zum Internet, wo Anonymität herrscht: "Im Internet ist es einfach, keiner sieht mich. Ich gebe mein Bankkonto an und los geht's. Es ist heutzutage sicher leichter, süchtig zu werden."


Die Beliebtheit dieses anonymen und schnellen Spielens wächst in Österreich. Laut Branchenradar ist in den Jahren von 2017 bis 2019 der Online-Anteil an den Bruttospielerträgen stark angestiegen:

Vor dem eigenen Familien- und Freundeskreis zuzugeben, spielsüchtig zu sein, erfordert enorme Überwindung. Trotzdem verschweigt Sebastian seinem engsten Umfeld nicht, was ihm widerfahren ist. "Das war wirklich nicht einfach, sich vor die eigene Familie zu stellen und so etwas zuzugeben", blickt er zurück. Er ist nach wie vor sehr dankbar, dass seine Eltern, seine Frau und sein Bruder ihn in der Situation stark unterstützt haben: "Es war für alle eine schwierige Situation, aber es gab trotzdem einen guten Zusammenhalt."


Heute hat er mit der Glücksspielsucht völlig abgeschlossen und sieht keine Gefahr mehr, wieder rückfällig zu werden. Seine Frau und er haben mittlerweile wieder beide eigenständige Bankkonten. Ein paar Sicherheitsvorkehrungen wurden dennoch getroffen: Auf das gemeinsame Sparkonto und auf jenes seiner Tochter hat nur seine Frau Zugriff. Falls Sebastian also doch wieder rückfällig werden sollte, sind die Ersparnisse der Familie in Sicherheit.


140.000 Euro an das Glücksspiel verloren


Insgesamt hat Sebastian ungefähr 140.000 Euro durch das Glücksspielen verloren. Derzeit läuft noch ein Schuldenregulierungsverfahren mit fünf Gläubigern, seine Spielschulden sind also noch immer nicht zur Gänze abbezahlt. Den Drang, diese Schulden mit einem schnellen Glücksspiel-Gewinn zu begleichen, hat er heute nicht mehr.


In diesem Jahr wird der heute 27-jährige Sebastian noch einmal Vater. Er und seine Frau erwarten Zwillinge. Ihnen gegenüber will er offen mit seiner Suchtvergangenheit umgehen, verbieten möchte er es seinen Kindern trotz allem nicht: "Verbote bringen nichts, denn in einem gewissen Alter probieren Jugendliche einfach Dinge aus." Er will sie lieber mit seiner Geschichte vor den Gefahren dieser Spiele warnen.


Sebastian kann sich vorstellen, dass Erfahrungen wie seine in der Corona-Krise noch schwieriger zu bewältigen sind. Die soziale Isolation schwächt den natürlichen Kontrollmechanismus des sozialen Umfelds und Betroffene werden mit ihren Problemen häufiger alleine gelassen. Sebastians Geschichte zeigt, wie schnell einzelne Personen in eine missliche Lage geraten können. Gerechnet hätte er damit nie.



*Name von der Redaktion geändert

 

Beratung und Hilfe


Wenn du Hilfe oder Rat brauchst oder jemanden kennst, der*die betroffen ist, kannst du dich an die Spielsuchthilfe wenden. Weitere österreichweite Hilfsangebote findest du aufgelistet nach Bundesland auf der Website des Finanzministeriums.

Comments


bottom of page