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Das Geschäft mit der 24-Stundenpflege

Sie kümmern sich um unsere Alten und Kranken und verlassen dafür ihre eigenen Familien in Osteuropa. Als "systemrelevante Held*innen des Alltags" wurden sie während der Coronapandemie dafür gefeiert. Die 24-Stundenpflegerin Janka gibt Einblicke, wie es um ihre Arbeitsbedingungen und ihre Entlohnung wirklich steht.


TEXT: JULIA PABST

FOTOS: JULIA PABST

VIDEO: EDITH GINZ


Es ist Zeit für Katharinas tägliche Sporteinheit. Janka hievt Katharinas Rollstuhl über die Türschwelle und schiebt ihn über den rotbraunen Fliesenboden ins Wohnzimmer. Katharina fährt eine enge Schleife und parkt vor ihrem Arm- und Beinheimtrainer ein. Janka nimmt nacheinander Katharinas linkes und dann ihr rechtes Bein und stellt sie auf den Fußrastern der Pedale ab. Mit flinken Griffen wickelt Janka ein schwarzes Band um Katharinas Beine und fixiert sie damit am Gerät. "So, geschafft! Schönes Training!", ruft sie, während Katharina vorsichtig beginnt zu treten.


Seit 14 Jahren arbeitet Janka als 24-Stundenpflegerin. Zwei Wochen lang betreut sie die an MS erkrankte Katharina im österreichisch-deutschen Grenzgebiet nahe Salzburg, zwei Wochen lang ist sie bei ihrer Familie in der Slowakei. In Österreich unterstützt Janka Katharina im Alltag: Sie wäscht sie, hilft ihr beim Anziehen und auf der Toilette. Dazu kommen Aufgaben im Haushalt und die emotionale Unterstützung. Auch wenn es sehr anstrengend sein kann, mag Janka ihren Beruf: "Mich erfüllt meine Arbeit. Wenn ich anderen Menschen helfen kann, gibt mir das Kraft."



Rund 33.000 Personen beschäftigten 2020 eine 24-Stundenpfleger*in wie Janka. Die rund 62.000 Betreuer*innen stammen fast ausschließlich aus Osteuropa, waren in den meisten Fällen in ihrem Heimatland schon länger arbeitslos und sind bereits älter. Meistens teilen sich zwei Pflegekräfte eine Arbeitsstelle. 99 Prozent von ihnen arbeiten als Selbstständige und haben dementsprechend keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub oder bezahlten Krankenstand. Agenturen vermitteln die Pfleger*innen an Familien. Sie sind es auch, die das Gehalt mit den Angehörigen der gepflegten Person vereinbaren. Monatlich bezahlen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen rund 2500 Euro für eine durchgängige Betreuung.


Janka ist 60 Jahre alt und kommt ursprünglich aus der Slowakei


Geldfrage


Rund 65 Euro netto pro Tag verdient Janka, wenn sie rund um die Uhr für Katharina zur Verfügung steht. Im Monat kommt das auf rund 900 Euro netto. Im Schnitt verdienen 24-Stundenpfleger*innen in Österreich zwischen 65 und 85 Euro brutto pro Tag. Als Selbstständige müssen sie sich selbst versichern. Auch die Reisekosten müssen sie meistens selbst bezahlen. "Das ist kein großes Geld, aber es ist immer noch mehr als bei uns zuhause", sagt Janka. Für dieselbe Arbeit würde sie in der Slowakei gerade einmal 450 Euro pro Monat bekommen.


Generell ist die Bezahlung einer der größten Motivationsfaktoren für 24-Stundenpflegerinnen. "Wenn es Alternativen im Herkunftsland gibt, nimmt die Zahl der Betreuer*innen ab", erklärt die Soziologin Brigitte Aulenbacher von der Johannes-Kepler-Universität Linz gegenüber dem Standard. Im Großraum Bratislava gäbe es durch die gute wirtschaftliche Entwicklung etwa kaum mehr Frauen, die als Pfleger*innen im Ausland arbeiten wollen.


"Ich bin eigentlich gelernte Schneiderin. Niemals hätte ich gedacht, dass ich einmal etwas anderes machen würde. Aber wir haben das Geld gebraucht."

Als Janka vor über zehn Jahren das erste Mal im Ausland gearbeitet hat, war das noch anders: "Ich bin eigentlich gelernte Schneiderin. Niemals hätte ich gedacht, dass ich einmal etwas anderes machen würde. Aber wir haben das Geld gebraucht." Jankas Mann war krank und konnte nicht arbeiten. Sie musste also genug Geld verdienen, um ihn und ihre drei Kinder zu versorgen. Drei Jahre lang arbeitete Janka als Küchenhilfe und Putzfrau in Deutschland und war über die ganze Sommersaison nicht zuhause. "Mein damals 13-jähriger Sohn hat viel geweint und mich angefleht, dass ich nicht mehr so lange weggehe", erinnert sich Janka. Sie suchte nach einer Alternative. Eine Bekannte riet ihr, es als 24-Stundenpfleger*in zu versuchen. Hier ist sie nur zwei Wochen am Stück bei der Arbeit im Ausland, den Rest der Zeit kann sie bei ihrer Familie verbringen.



24/7


Während ihrer zweiwöchigen Dienste muss Janka immer einsatzbereit sein. Sie bleibt deswegen ständig in Katharinas Rufweite. Rutscht beispielsweise Katharinas Fuß von der Ablage ihres Rollstuhls, kann sie ihn ohne Hilfe nicht mehr hochziehen. Hat Katharina einen Spastikanfall, verkrampfen sich ihre Muskeln und sie braucht jemanden, der gegen die Verhärtungen andrückt. "Es sind viele Kleinigkeiten, die zusammenkommen. Ich muss immer Acht geben und in der Nähe bleiben, damit ich Katharina helfen kann, wenn sie mich braucht", erklärt Janka. Auch nachts müssen 24-Stundenpfleger*innen bereitstehen: "Es ist körperlich sehr anstrengend, wenn du in der Nacht mehrmals aufstehen musst. Am nächsten Tag musst du dann trotzdem funktionieren." Manche Patient*innen haben Janka bis zu zehnmal pro Nacht gerufen.


"Die alltäglichen Arbeitsbedingungen liegen hierzulande vor allem in den Händen der Betreuer*innen und der Haushalte, Absprachen sind das Ergebnis individueller Aushandlung", sagt Aulenbacher. Arbeitsschutzbedingungen und geregelte Ruhezeiten gelten für 24-Stundenpfleger*innen in der Praxis also nur bedingt. In manchen Familien würden Pflegekräfte nach getaner Arbeit etwa dazu aufgefordert, im landwirtschaftlichen Betrieb mitzuhelfen.


Janka und Katharina sind in den letzten Jahren auch zu Freundinnen geworden



Weg von daheim


Rund 950 bei der Wirtschaftskammer registrierte Agenturen vermitteln die 24-Stundenpfleger*innen an Patient*innen. Dafür heben sie eine Vermittlungsgebühr von den Familien und von den Pfleger*innen ein. Auch Janka hat anfangs mit einer Agentur zusammengearbeitet. Als Sprinterin wurde sie je nach Bedarf an unterschiedliche Familien vermittelt. Fiel etwa eine Kolleg*in krankheitsbedingt aus, rückte Janka nach. Privat musste sie dadurch einige Abstriche machen: Vor einigen Jahren etwa hatte sie eigentlich geplant, Weihnachten bei ihrer Familie zu verbringen. Nachdem eine Kollegin aber kurzfristig absagte, musste sie länger bei ihrer Patientin bleiben: "Ich bin auf meinen gepackten Koffern gesessen und habe nur geweint."


Seit mittlerweile drei Jahren arbeitet Janka nicht mehr mit Agenturen zusammen. Sie möchte sich ihre Dienste selbst einteilen und darüber entscheiden, wann sie wie arbeitet, erklärt Janka: "Ich arbeite schon genug lange hier, ich brauche keine Hilfe. Sie geben dir die Arbeit und du musst einen gewissen Betrag dafür zahlen. Steuern und Papiere, da muss man sich sowieso selbst dadrum kümmern."


Auch wenn sie ihren Job mag, ist das ständige Reisen für Janka das Unangenehmste an ihrem Beruf. Während der Coronapandemie wurde es zur Farce: Wegen der strengen Einreiseregeln konnte sie ihre Familie vier Monate lang nicht sehen. Jankas größter Wunsch ist es, dass Pflegeberufe auch in ihrer Heimat besser entlohnt werden: "Wir sind tausende Frauen, die bei der Grenze zwischen der Slowakei und Österreich hin und her fahren. Wenn es mehr Geld zuhause gäbe, würde nicht eine weggehen. Wer geschieden ist oder sich vom Mann getrennt hat, hat keine andere Wahl."




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