Blinde Menschen können heutzutage viel eigenständiger leben als noch vor wenigen Jahrzehnten. Eine vollständige Integration im Alltag gibt es aber bei weitem noch nicht. Dominika Raditsch vom Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich im Gespräch über Vorurteile, Barrieren und fehlerhafte Politik.
TEXT & AUDIO: RONNY TAFERNER
Auch im Jahr 2021 sind Vorurteile über Blinde Menschen in vielen Teilen der österreichischen Bevölkerung nach wie vor verbreitet. Zum Beispiel: Blinde Menschen leben nur in Blindenheimen, weil sie nicht in der Lage sind, ein eigenständiges Leben zu führen. Dass das nicht stimmt, beweisen Petra und Bruno, ein blindes Ehepaar, in unserer aktuellen Schwerpunktgeschichte. Trotzdem gibt es für sie noch zu viele Barrieren im Alltag, die es ihnen nicht ermöglichen, ein völlig selbstständiges Leben zu führen. Dominika Raditsch, selbst blind, versucht als leitendes Mitglied vom Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich diese Barrieren abzubauen und kämpft für die Integration blinder und sehbehinderter Menschen.
Die rasante technologische Entwicklung in den vergangenen Jahren hat es für blinde Menschen wesentlich vereinfacht, viele Aufgaben des Alltags zu bewältigen: Geräte mit Sprachsteuerung, Farberkennungsgeräte oder Scanner, mit denen man sich die Post vorlesen lassen kann, sind nur wenige Beispiele. Gleichzeitig wird es aber immer schwieriger, einfache Geräte wie Küchen- und Haushaltsgeräte zu bedienen. Touchscreens und zahlreiche Einstellungsmöglichkeiten machen aus Waschmaschinen, Geschirrspülern und anderen Haushaltsgeräten komplexe Geräte, die für blinde Menschen nicht mehr zu bedienen sind. Es werde immer schwieriger, barrierefreie Haushaltsgeräte zu finden, so Raditsch.
Die Corona-Pandemie habe die Lage für nicht sehende Menschen verschärft. Es gibt für Supermarktangestellte keine Pflicht, blinde Menschen zu bedienen. In den Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie werde oft auf Blinde vergessen: "Bei einem Friseurbesuch ist der Vorweis eines negativen Testergebnisses verpflichtend, ohne fremde Hilfe ist es aber für blinde Menschen nicht möglich, sich für einen Test anzumelden und ihn durchzuführen."
Dominika Raditsch erzählt in Gespräch, warum es für Blinde und Sehbehinderte nach wie vor zu viele Barrieren gibt
Raditsch sieht auch im Jahr 2021 Blindheit und Behinderung noch als Randthema, das häufig übersehen wird. Oft läge es an einem falschen Bild von blinden Menschen, das nach wie vor in der Gesellschaft verbreitet sei: "Der arme Blinde, der kann nichts." Es sei auch Aufgabe der Medien, aufzuklären und somit Vorurteile abzubauen, appelliert Raditsch.
Laut Raditsch setzen sich Politiker*innen kaum für die Rechte von Blinden und Sehbehinderten ein, was an der Gewichtung von Interessen liege: "Man darf den Lobbyismus nicht vergessen. Es werden in der Politik nur diejenigen wahrgenommen, die auch am lautesten schreien. Wir blinde und sehbehinderte Menschen stehen in der Priorisierung ganz klar weiter hinten." Umso wichtiger sei es, selbst aktiv zu bleiben, die Initiative zu ergreifen und Forderungen an die Politik zu stellen. "Denn von selbst wird sich nichts ändern."
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Petra und Bruno sind seit 20 Jahren verheiratet und haben sich noch nie gesehen, denn sie sind blind. Im Rahmen unseres Schwerpunktthemas Blindheit haben wir sie getroffen. Eine Geschichte über den Alltag, die Barrieren und die Sorgen eines blinden Ehepaares.
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