top of page

Die Schwulenjäger

Das Schicksal des jungen Franz Doms beschreibt, wie das Leben für homosexuelle Männer in der Nazi-Zeit war ein Leben mit Ausgrenzung, Verfolgung und Gefangenschaft, das häufig mit einer Hinrichtung beendet wurde.


TEXT UND RADIO-FEATURE: RONNY TAFERNER


Franz Doms war 21 Jahre alt, als ihm in der Hinrichtungsstätte im Landesgericht in Wien das Leben genommen wurde. Die Begründung des Oberstaatsanwalts: "Er ist ein vollständig haltloser, seinen widernatürlichen Trieben gegenüber machtloser Verbrecher, bei dem von Freiheitsstrafen kein erzieherischer oder abschreckender Erfolg mehr zu erwarten ist." Die letzten Jahre hat Franz zu einem großen Teil in Gefangenschaft verbracht. Innerhalb von etwas mehr als einem Jahr war er in drei Gefängnissen: Im Kerker bei der Gestapo – der Geheimen Staatspolizei des NS-Regimes, im Polizeigefängnis bei der Kriminalpolizei und zuletzt im Gefangenenhaus beim Landesgericht. Der Ort, an dem seinem Leben ein Ende gesetzt wurde.


Hier kommst du zur ganzen Podcast-Folge.


Es ist die Geschichte eines jungen Mannes, die stellvertretend für tausende ähnliche Schicksale steht. Jürgen Pettinger hat in seinem Buch "Franz – Schwul unterm Hakenkreuz" die Geschichte von einem jungen schwulen Mann in der Nazizeit – Franz Doms – niedergeschrieben. Basierend auf Akten aus dem Archiv und anderen historischen Dokumenten und Recherchen. Als ORF-Journalist stößt Pettinger bei Recherchen zur Diskriminierungsgeschichte von queeren Personen vor einigen Jahren im Wiener Stadt- und Landesarchiv zufällig auf den Ermittlungs- und Strafakt von Franz Doms. "Das Erste was ich gesehen habe beim Aufblättern – das war fast ein bisschen schicksalshaft – war das Hinrichtungsblatt. Und da hat es mir einen Schauer über den Rücken gejagt und seither hat mich Franz Doms nicht mehr losgelassen. Ich habe begonnen zu recherchieren über diesen jungen Burschen, sein Leben und seine damalige Zeit."


Die Akte von Franz Doms lassen Jürgen Pettinger nicht mehr los – Er schreibt ein Buch über sein Leben.

(c) Wiener Stadt- und Landesarchiv



Ins Gebüsch gedrängt


Franz wuchs mit seiner Familie in einem klassischen Arbeiterwohnhaus am Handelskai auf. Eine Industriegegend, in der durch den Hafen viele Waren umgeschlagen wurden. In einer kleinen Wohnung im dritten Stock des Hintergebäudes lebte er zusammen mit seinen Eltern und seinen zwei älteren Geschwistern. Wenig Platz, dünne Wände und Gemeinschaftstoiletten im Wohnhaus machten eine Privatsphäre unmöglich. Er konnte keine Freunde mit nach Hause nehmen – und schon gar keine Liebhaber. "Queere Menschen wurden damals beinhart verfolgt. Man konnte dieser Verfolgung nicht entkommen – außer man war reich und hatte eine große Wohnung. Dann konnte man sich eine gewisse Privatsphäre leisten." Die fehlende Privatsphäre wurde auch Franz Doms zum Verhängnis. Nachbarn meldeten ihn bei der Gestapo. Er wird zum ersten Mal festgenommen und gerät ins Visier der Polizei.


Franz Doms wächst am Handelskai 208 auf. Heute ist hier eine vielbefahrene Straße.


Seine Homosexualität konnte Franz, wie die meisten schwulen Männer, nur an versteckten öffentlichen Orten ausleben. Ständig mit der Gefahr, erwischt zu werden. "Queere Menschen mussten sich Verstecke suchen. Sie wurden ins Abseits getrieben, an den Rand der Gesellschaft – regelrecht ins Gebüsch", erklärt Pettinger. Die Verfolgung gegen Homosexuelle in der NS-Zeit war professionell organisiert. Die Kriminalpolizei und die Gestapo gingen systematisch gegen homosexuelle Personen vor – Die Beamten wurden von manchen als "Schwulenjäger" bezeichnet: Polizeispitzel machten schwule Männer ausfindig. Jeder Mann, für den es auch nur den geringsten Verdacht gab, dass er homosexuell sein könnte, wurde ins Gefangenenhaus gebracht und fotografiert. Das Foto wurde in eine Kartei mit tausenden Bildern von potentiell schwulen Männern aufgenommen. Anschließend musste der Gefangene Bild für Bild die Kartei durchgehen und Namen und Details von Männern verraten, die er kannte. Zeigte man sich nicht kooperativ, wurde man gefoltert. So lange bis man weitere Namen von anderen Männern verrät. Diese Verfolgungsmaschinerie war der Grund, warum schwule Männer sich gegenseitig meist nicht ihren echten Namen verrieten, sondern Decknamen verwendeten. Pettinger erklärt: "Schwule Männer hatten zum größten Teil selbst immer das Gefühl, sie machen etwas komplett Falsches – weil es so strafbar war und auch gesellschaftlich so geächtet."


Franz Doms Fotos wurden in eine Kartei mit Bildern von homosexuellen Männern aufgenommen.

(c) Wiener Stadt- und Landesarchiv



Blickkontakt


Franz machte seine erste Erfahrung mit einem Mann im Alter von 14 Jahren – mit einem Herren, den er in der Straßenbahn kennengelernt hatte. Die heimlichen Annäherungsversuche von schwulen Männern haben meist über Blickkontakte funktioniert. Häufig wurden auch Erkennungszeichen verwendet, um andere schwule Männer zu identifizieren – wie etwa bestimmte Anhänger von Kettchen oder Halstücher, die in Hosentaschen gesteckt wurden. Ständig mit der Möglichkeit, die geheimen Symbole schnell unter dem Hemd oder in der Hosentasche wieder zu verstecken, wenn es gefährlich wurde. Geheime, versteckte Plätze, zum Beispiel Parkanlagen, öffentliche Toiletten oder öffentliche Badeanlagen, waren meist die einzige Möglichkeit, um sich mit anderen Männern zu treffen.


Ein beliebter geheimer Treffpunkt für schwule Männer war das Gasthaus Emminger (heute Gasthaus Hansy). Mitten im damaligen Ausgehviertel rund um den Praterstern haben dieses Restaurant vermehrt schwule Männer aufgesucht. Doch sicher fühlen konnte man sich auch hier nicht. Ständig bestand die Gefahr, dass man mit einem Polizeispitzel flirtet und man tags darauf verhaftet wird – So wie es auch Franz Doms passiert ist.


Wo sich heute das Gasthaus Hansy am Praterstern befindet, war früher das Gasthaus Emminger.



"Widernatürliche Unzucht"


Grundlage für die Verfolgung, Bestrafung und Hinrichtung von Homosexuellen war der Paragraf 129 des Strafgesetzbuches. Dieser Paragraf bestimmte, was ein Sexualstrafdelikt war. § 129 1A war widernatürliche Unzucht mit Tieren. Und § 129 1B war widernatürliche Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts. "Da sieht man schon welchen Stellenwert das hatte. Das war auf der Ebene von Sodomie – Unzucht mit Tieren. Und das war schlimmer wie Kinderschänderei – das wurde noch weit mehr geächtet. Das heißt, wenn man einmal verurteilt war unter diesem Paragraphen, dann hast du nie mehr wieder einen Job gefunden", erklärt Pettinger. Schwule Männer, die in ein Konzentrationslager verschleppt wurden, wurden mit einem Rosa Winkel gekennzeichnet. Dieser Stoffaufhänger musste an der Häftlingsbekleidung an der linken Brust befestigt werden. Auch Homosexualität von Frauen war in Österreich verboten – im Gegensatz zu Männern wurden sie aber nicht so stark verfolgt, was vor allem zwei Gründe hatte, so Pettinger: "Die Sexualität von Frauen wurde per se nicht als eigenständige Sexualität angesehen. Außerdem hätte man Frauen zur Not auch zwingen können, Kinder zu kriegen, indem man sie vergewaltigt. Das ging bei schwulen Männer natürlich nicht. Sie wurden als Volksschädlinge, die keinen Nachwuchs für den Krieg produzieren können, angesehen."


Der § 129 wurde bereits 1852 eingeführt, war also kein Spezifikum der NS-Zeit. Die konsequente Verfolgung hingegen gab es vor der Nazi-Zeit nicht. Und auch nach dem Ende des Nazi-Regimes war Homosexualität weiterhin verboten. "Die zweite Republik hat nicht nur den Paragraphen unverändert übernommen, sondern auch die Verfolgungsmaschinerie, die die Nazis aufgebaut haben unverändert übernommen. Es wurde zwar die Todesstrafe abgeschafft und Konzentrationslager wurden aufgelöst, aber schwule Männer wurden weiterhin beinhart verfolgt." Erst mit der kleinen Strafrechtsreform im Jahr 1971 wurde Homosexualität entkriminalisiert.


Jürgen Pettinger schreibt in seinem Buch "Franz – Schwul unterm Hakenkreuz" über Homosexualität in der NS-Zeit.



Vergessene Opfer


Wie viele queere Personen in der Nazi-Zeit ein ähnliches Schicksal wie Franz Doms erleiden mussten, ist nicht bekannt. Es sind jedenfalls zehntausende, wenn nicht sogar hunderttausende. Genaue Zahlen fehlen jedoch, weil es keine Auflistung gibt. Erinnerungstafeln und Stolpersteine für queere Opfer der NS-Zeit gibt es auch heute noch so gut wie keine. Der Grund: Viele Menschen sind der Ansicht, homosexuelle Personen seien zurecht verurteilt worden – weil sie nicht nach einem Nazi-Sonderparagrafen verurteilt wurden, sondern nach Gesetzen, die es schon vor der Nazi-Zeit und auch noch nach der Nazi-Zeit gegeben hat. Ein weiterer Grund für die fehlenden Andenken ist, weil es kaum Zeitzeug:innen von homosexuellen Opfern in der NS-Zeit gibt. Denn auch in zweiten Republik, nach der Nazi-Zeit, war Homosexualität strafbar. "Niemand hat sich getraut von den Erinnerungen zu berichten, denn es gab ständig die Gefahr verhaftet zu werden", so Pettinger. Homosexuellen wurde jahrzehntelang die Anerkennung als NS-Opfer verweigert. Erst 2005 wurden sie als Opfergruppe in das Opferfürsorgegesetz aufgenommen.


Auch wenn Homosexualität damals extrem verpönt war – die Familie von Franz Doms hat immer zu ihm gehalten. Heute liegt der Körper von Franz Doms im Familiengrab im Wiener Zentralfriedhof, in dem auch seine Schwester und sein Vater begraben wurden. Und das ist alles andere als selbstverständlich – denn die Körper der Hingerichteten wurden normalerweise in einem anonymen Gemeinschaftsgrab verscharrt. Franz Doms Familie setzte sich sehr dafür ein, dass sein Leichnam ins Familiengrab kam.


Das Familiengrab am Wiener Zentralfriedhof, in dem sich auch Franz Doms Körper befindet.


Völlige Akzeptanz?


Das Familiengrab von Franz Doms ist kurz vor der Auflösung gestanden, weil es heruntergekommen war. Jürgen Pettinger hat den Grabstein wieder aufrichten lassen und Jugendliche kümmern sich um den Erhalt des Grabes. Es ist nun eine Gedenkstätte geworden – die einzige Gedenkstätte von Franz Doms. Doch auch heutzutage werden queere Personen in der Gesellschaft immer noch nicht völlig akzeptiert. Auf das Grab von Franz Doms und die Regenbogen-Flagge darauf hat ein Unbekannter gepinkelt.


Für ORF-Journalist Jürgen Pettinger gibt es noch lange keine völlige Akzeptanz von queeren Personen in der Gesellschaft. (c) Manfred Weis


In den letzten Jahren ist viel passiert bei der Akzeptanz von queeren Personen – doch politischer Wille war hierbei nicht der Hauptgrund. Meist haben Höchstgerichte den Regierungen die Rechte für queere Personen aufgezwungen – so wie es auch etwa bei der Ehe für alle war. Der Prozess des Schreibens und Recherchierens des Buches löst bei Jürgen Pettinger viele Gefühle aus – auch Wut: "Franz Doms wäre heuer 100 Jahre alt geworden. Er wurde mit 21 Jahren hingerichtet. Und dass wir heute – nachdem Menschen für ihr Anderssein umgebracht worden sind – immer noch nicht so weit sind, sodass wir auf Augenhöhe miteinander leben können, das macht mich rasend. Wir leben in einer Demokratie, in einem der reichsten Länder der Welt – und sind immer noch nicht so weit, dass ich die selben Rechte habe, wie jeder andere?"


Völlige Akzeptanz in der Gesellschaft gegenüber queeren Personen wird es laut Pettinger vermutlich nie geben – so wie es auch für viele andere Minderheiten keine völlige Akzeptanz geben wird. Aufgeben zu kämpfen sollte man jedoch nicht: "Keinesfalls dürfen wir uns wieder in dieses Eck drängen lassen, in dem auch Franz Doms war. Dass wir uns an den Rand der Gesellschaft drängen lassen. Wir müssen darauf achten, dass wir völlig sichtbar – schrill, bunt, laut und mit wehenden Fahnen – inmitten der Gesellschaft stehen. Diesen Platz müssen wir permanent behaupten, ansonsten laufen wir Gefahr, wieder ins Abseits gedrängt zu werden. Das, was Franz Doms passiert ist, ist ja wirklich passiert. Und weil es schon einmal passiert ist, kann es ja wieder passieren."


 

WEITERLESEN



Hass, Diskriminierung und Intoleranz. Mit all dem haben queere Personen auch heutzutage noch zu kämpfen. Die mediale Berichterstattung und Darstellung von LGBTQIA+ Personen hat darauf einen großen Einfluss. Wie Medien mit dieser Macht umgehen und wie sich das auf das Leben von Millionen von Menschen auswirkt.






Einen Teil der eigenen Identität ablegen, wegbeten, auslöschen? Genau darauf zielen queerfeindliche Konversionsverfahren ab, die in Österreich teils noch immer erlaubt sind.








Richard aus Uganda führt jahrelang eine geheime Beziehung mit einem Mann. Vor einem Jahr fällt er damit auf, er wird gewaltvoll angegriffen. Seine einzige Überlebenschance ist die Flucht.


bottom of page