top of page

Homosexualität kann man nicht wegtherapieren

Einen Teil der eigenen Identität ablegen, wegbeten, auslöschen? Genau darauf zielen queerfeindliche Konversionsverfahren ab, die in Österreich teils noch immer erlaubt sind.


TEXT: DENISE MEIER

FOTOS: DENISE MEIER VIDEO: LOUIS EBNER


Triggerwarnung: Depressionen, Angststörungen, Suizid


Gastritis, Depressionen, Blasenentzündung - das alles sind Krankheiten, die man heilen kann. Mal dauert es länger, mal geht es schneller, erfordert mehr oder weniger Behandlung. Aber: Es gibt eine funktionierende, wissenschaftlich anerkannte Therapie. Homosexualität steht nicht auf der Liste, denn sie ist keine Krankheit. Eine Heilung ist also weder möglich noch nötig. Trotzdem gibt es Menschen, die das versuchen: in sogenannten Konversionstherapien.



Das Verfahren ist in einschlägigen Kreisen auch als "Reparative Therapy" bekannt. Dabei bedeutet einschlägig in den allermeisten Fällen religiös. In jüngeren wissenschaftlichen Studien wird der Begriff "Sexual Orientation Change Efforts", kurz SOCE, benutzt, denn der Begriff „Therapie“ ist irreführend. SOCE hätten mit einer wissenschaftlich fundierten Therapie nichts zu tun, so der Sexualtherapeut Johannes Wahala. Er ist geweihter katholischer Priester, Sexualtherapeut und Leiter der Beratungsstelle COURAGE*.


Auch wenn es klingt wie aus dem Mittelalter: Solche Verfahren werden immer noch durchgeführt. In Österreich ist die Praktik erst seit Sommer 2021 für Minderjährige verboten. Konversionsverfahren an Erwachsenen durchzuführen ist noch immer erlaubt. Wahala hat maßgeblich zu dieser Gesetzesänderung beigetragen. Zu ihm kommen viele Jugendliche und junge Erwachsene, die SOCE durchgemacht haben.


Ein Porträt des Sexualtherapeuten Johannes Wahala in seiner Praxis.

Johannes Wahala ist Sexualtherapeut bei der Beratungsstelle COURAGE* - viele Betroffene kommen zu ihm (c) Denise Meier


Die queere Identität „wegbeten“


Vor allem in den 1970er Jahren haben sich in den USA mehrere freikirchliche Bewegungen gegründet, die darauf abzielen, Homosexualität „wegzutherapieren“. In den 90ern des vergangenen Jahrhunderts haben sie sich auch in Europa verbreitet. Treibende Kräfte dahinter sind oft evangelikale Kirchen oder die Ex-Gay-Bewegung, deren Mitglieder angeben, selbst einmal homosexuell gewesen zu sein. Den Initiativen liegt die Idee zu Grunde, Homosexualität sei „widernatürlich“, selbst ausgesucht oder die Folge von Traumata wie sexuellem Missbrauch oder abwesenden Eltern, so die Studierendenorganisation Generation for Rights over the World (GROW) auf ihrer Website.


Die Methoden der „Homo-Heiler:innen“ sind vielfältig: Sie erstrecken sich von Einzelgesprächen über „Heilgottesdienste“ und Jugendlager bis hin zu physischer Gewalt und Exorzismen, fasst ein von der Uni Wien publiziertes Paper zusammen. Oft wird die „Therapie“ mit dem Gebet vermischt und ist auf den ersten Blick gar nicht als SOCE zu erkennen. Homosexuelles Leben wird in negatives Licht gerückt, heterosexuelles Leben auf ein Podest gehoben. In den Sitzungen werden vermeintliche Strategien zum Vermeiden homosexueller Gedanken und homosexuellen Verhaltens verbreitet, platonische Freundschaften zu Personen des gleichen Geschlechts gefördert und die „Ursachen“ der Homosexualität in der Biografie der Betroffenen gesucht. Sexualtherapeut Wahala erzählt etwa von einem Patienten, der in Kroatien einen Exorzismus durchmachen musste.

„Stell dir vor, du bist rothaarig und jemand sagt dir: ‚Ich kann dich heilen davon, dass du rothaarig bist.‘ Es gibt dafür keine Heilung, weil es kein Problem ist.“

Die „Therapeut:innen“ haben meist keine anerkannte psychotherapeutische Ausbildung, sondern basieren ihre Praxis auf religiösen Ideologien. Echte Therapeut:innen müssen sich an den Diagnoseschlüssel der Weltgesundheitsorganisation WHO halten. Diese hat Homosexualität vor 30 Jahren offiziell von der Liste der international anerkannten Krankheiten gestrichen. Eine wissenschaftlich fundierte Therapie behandelt ein körperliches oder psychisches Leiden, erklärt Ann-Sophie Otte, Obfrau der HOSI Wien: „Stell dir vor, du bist rothaarig und jemand sagt dir: ‚Ich kann dich heilen davon, dass du rothaarig bist.‘ Es gibt dafür keine Heilung, weil es kein Problem ist.“ Eine anerkannte, wissenschaftlich fundierte Therapie, die Homosexualität „heilt“, könne es also nicht geben.


Ein Porträt von HOSI Wien Obfrau Ann-Sophie Otte

HOSI-Obfrau Ann-Sophie Otte spricht sich klar gegen Konversionsverfahren aus (c) Denise Meier


Grundsätzlich betreffe das Thema alle Mitglieder der LGBTQIA+ Community, meint HOSI-Obfrau Otte. Sexualtherapeut Wahala fügt hinzu, dass Männer, die gleichgeschlechtlich empfinden, eher im Blickfeld der Anbieter:innen solcher Verfahren seien. Das Bewusstsein für die Vielfalt der Geschlechter und Sexualitäten sei in der Öffentlichkeit noch zu gering, als dass „Konversionstherapeut:innen“ darauf schon einen Fokus gesetzt hätten.


Für Betroffene sei es oft sehr schwierig, teils sogar unmöglich, ohne externe Hilfe aus der destruktiven Dynamik einer „Konversionstherapie“ herauszukommen, so Sexualtherapeut Wahala. Menschen, die eine solche „Therapie“ anbieten würden, spielten mit autoritären Strukturen, erzählt er: „Gott, der die größte Autorität überhaupt hat, findet dich nicht gut, so wie du bist.“


Welchen Nutzen haben solche homophoben Konversionsverfahren dann überhaupt? „Im Wesentlichen gibt es keine evidenzbasierten Studien in Bezug auf die ,Konversionstherapien', die belegen, dass Menschen wirklich von ihrer sexuellen Orientierung oder von ihrem Begehren geheilt worden wären“, erklärt Wahala. Er erzählt von einer Reihe an jungen Menschen, meist jungen Männern, die er in einer wissenschaftlich basierten Psychotherapie nach einem solchen Konversionsverfahren betreut habe. "Diese innere Isolation ist die Hölle auf Erden. Weil der junge Mensch völlig allein gelassen ist mit einem zerstörten Selbstbild, noch dazu mit dem Gefühl ‚Ich habe versagt und so wie ich bin, bin ich nicht okay und ich bin krankhaft, pervers und sündig.‘“



Homophobie macht krank


Während Homosexualität vor 30 Jahren noch als Krankheit galt, weiß man heute: Was queere Menschen wirklich krank machen kann, ist die Homophobie, der sie begegnen. Das belegen wissenschaftliche Studien des DIW Berlin mit der Universität Bielefeld. Jugendliche, die in der Entwicklungsphase, in der sie sich ihrer Sexualität bewusst werden, ein so hohes Maß an Isolation und Schuldzuweisungen erfahren würden, entwickelten ein gestörtes Selbstbild und hätten mit Depressionen und Angststörungen zu kämpfen, so der Therapeut. Betroffene von SOCE hätten Angst, von Gott abgelehnt und von der Familie ausgegrenzt und verstoßen zu werden.


Wahalas Patient:innen leiden an Panikattacken, paranoiden und suizidalen Gedanken. Oft hätten sie Flashbacks an die Zeit während des Verfahrens, hätten die Homonegativität, die sie erfahren haben, stark verinnerlicht. Die Selbstmordrate von jungen Menschen, die ein Konversionsverfahren durchgemacht haben, ist acht Mal höher als jene der homosexuellen Personen, die von ihrer Familie und ihrem Umfeld akzeptiert werden, belegt eine Studie der San Francisco State University.


Ein Bild eines jungen Mannes, der in schwarz gekleidet ist und deprimiert zu Boden blickt

Konversionsverfahren richten vor allem eines an: Leid. (c) cottonbro von Pexels


Es gibt keine offiziellen Daten zur Häufigkeit von Konversionsverfahren. Meist werden sie im Untergrund durchgeführt, unter dem Deckmantel der Religion. Laut GROW sind die Organisationen, die sie anbieten, in über 40 Ländern aktiv. Die Weltgesundheitsorganisation nimmt einen klaren Standpunkt ein: "Konversionstherapien" seien nicht nur unethisch, sie würden auch die Gesundheit und die Rechte der Betroffenen gefährden. Die Vereinten Nationen stellen sie seit 2016 sogar unter Strafe. Ihr Bericht aus 2020 setzt die Verfahren mit psychischer Folter gleich und zeigt auf, dass sie in 68 Ländern durchgeführt werden.

„Die Religionsfreiheit kann doch nicht über dem Wert der Würde des Einzelnen stehen“

In den allermeisten Ländern sind „Konversionstherapien“ nach wie vor legal. Bis Juni 2021 waren sie nur in Brasilien, Ecuador, Malta, Deutschland und Albanien für Minderjährige und für Menschen, die nicht darüber aufgeklärt wurden, verboten. Im letzten Jahr hat auch der österreichische Nationalrat einstimmig für ein Verbot gestimmt. Auch Werbung für SOCE bei Minderjährigen ist somit hierzulande verboten. Ein allgemeines Verbot für Konversionsverfahren ist erst im Jänner 2022 im Nationalrat diskutiert, ein abschließender Beschluss aber vertagt worden. Das Institut für Ehe und Familie der katholischen Kirche spricht sich kritisch gegenüber des Verbots aus - es grenze das Recht auf religiöse Selbstbestimmung ein. Hierfür findet Wahala klare Worte: „Die Religionsfreiheit kann doch nicht über dem Wert der Würde des Einzelnen stehen.“


Zwei Frauen, die sich umarmen

Von Konversionsverfahren Betroffene lernen in der Therapie danach, ihre Sexualität zu akzeptieren (c) Karolina Grabowska von Pexels


Trotz des Verbotes gibt es aber auch weiterhin verdeckte Versuche von SOCE. Denn: Nicht überall, wo Konversionverfahren drin ist, steht auch Konversionsverfahren drauf. Die ideologische Überzeugung bestimmter Gruppen, dass Homosexualität eine Krankheit sei, besteht weiter. Ein klares Signal gegen die menschenverachtende Praxis könnten religiöse Anführer:innen senden. Nachdem selbst Papst Franziskus 2018 dafür plädierte, homosexuelle Kinder psychiatrisch behandeln zu lassen, scheint dieser Schritt jedoch in weiter Ferne.


Abseits von ultrareligiösen Gemeinden sieht Wahala die Entwicklung der Gesellschaft durchaus positiv: „Heute sind wir Gott sei Dank in einer Gesellschaft, die mehr und mehr anerkennt, dass wir in einer Vielfalt von sexuellen Orientierungen, geschlechtlichen Identitäten, Partnerschafts- und Familienformen leben. Diversität ist in einer liberalen, demokratischen Gesellschaft, die Menschenrechte achtet, ein wichtiger Wert.“

 

COURAGE* - die Partner*innen-, Familien- und Sexualberatungsstelle - ist spezialisiert auf Sexualität & Beziehungen, gleichgeschlechtliche Lebensweisen, Trans* / Transidentitäten, Inter* / Intergeschlechtlichkeit, Regenbogenfamilien, Gewalt und sexuelle Übergriffe. Wien 01 / 585 69 66 Graz 0699 / 166 166 62 Salzburg 0699 / 166 166 65 Innsbruck 0699 / 166 166 63 Linz 0699 / 166 166 67


Wenn du Unterstützung für dein Coming-Out brauchst oder Fragen hast, ist die HOSI Wien ein guter Ansprechpartner. Jeden Donnerstagabend veranstaltet die HOSI einen Jugendabend, wo du dich mit jungen, queeren Menschen vernetzen kannst.

Weitere LGBTQIA+-Organisationen österreichweit, an die du dich wenden kannst, findest du hier aufgelistet.

 

WEITERLESEN



Im Schlafzimmer einer Dragqueen

Oskar kann sich ein Leben ohne ChiChi nicht mehr vorstellen. Sie hat ihn aus seinem alten Leben befreit: Ein Leben, in dem er eine Rolle spielen musste, um akzeptiert zu werden. Hier liest du, wie ihr neues Leben aussieht.






"Mehr als nur queer"

Menschen, die der LGBTQIA+ Community angehören, treten immer öfter in Filmen, Serien, Büchern und auch in journalistischen Medien auf. Doch ihre Darstellung ist häufig geprägt von Stereotypen. Wie sehen LGBTQIA+ Personen diese mediale Darstellung selbst? Hier findest du Streiflichter aus der Regenbogen-Community

bottom of page