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Femizid ist kein Beziehungsdrama

In Österreich zählen wir nun schon 14 mutmaßliche Frauenmorde in diesem Jahr*. Damit ist Österreich eines der wenigen Länder in der EU, in dem mehr Frauen als Männer ermordet werden. Warum wir einen wirksamen Gewaltschutz brauchen, inwiefern die Boulevardpresse verharmlosend über Femizide berichtet und weshalb wir alle in der Verantwortung stehen.


TEXT, FOTOS, GRAFIKEN: EDITH GINZ


 "Nehmt ihr uns eine*, antworten wir alle! - gegen Femizide und Männergewalt"  heißt es bei einer Demonstration 10. Mai  in Wien

"Nehmt ihr uns eine*, antworten wir alle! - gegen Femizide und Männergewalt" hieß es bei einer Demonstration am 10. Mai in Wien


Eine junge Frau hält ein Schild mit der Aufschrift "Smash the patriarchy!" in die Luft. Der Titel der Demonstration lautet: "Nehmt ihr uns eine*, antworten wir alle! – gegen Femizide und Männergewalt". Viele Menschen gehen nach jedem Frauenmord auf die Straße. Die Veranstalter*innen führen den Demonstrantionszug samt Megafon und Schlachtrufen durch die gesperrten Straßen an. Eine Gruppe von Student*innen schiebt im Gleichschritt Fahrräder nebeneinander her. Ein vorbeilaufender Passant blickt irritiert auf die demonstrierende Menschenmenge. Rechts und links von den Demonstrant*innen steht die Polizei im Spalier. Es sind Demonstrationen, die bedrücken. Jeder "Alerta! Alerta! Feminista!"-Ruf löst Gänsehaut aus. So unfassbar ist die Gewalt, so ohnmächtig ist das Gefühl, das sich in Anbetracht dieser unerträglichen Lebensrealitäten breit macht. Und inmitten dieser Brutalität der Umstände, die jedes Mal hunderte Menschen bewegt, wütend auf der Straße zu demonstrieren, entsteht etwas Bedeutendes: Eine Solidarität unter Gleichgesinnten – eine Weigerung die vorherrschenden Verhältnisse als Status Quo hinzunehmen.


Femizid. Ein Begriff, der 1976 von der feministischen Aktivistin und Soziologin Diana E. H. Russell definiert wurde. Ein Begriff, der nicht nur den Mord an einer Frau durch einen ihr nahestehenden Mann beschreibt. Ein Begriff, bei dem es darum geht, dass Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind.


Am 12. Mai wurde eine Frau in Wien-Simmering tot in ihrer Wohnung aufgefunden – mit schweren Halsverletzungen. Ihr Ehemann befand sich ebenfalls in der Wohnung und wurde als mutmaßlicher Täter von der Polizei festgenommen und mittlerweile wieder entlassen. Die Ermittlungen laufen noch. Sollte sich der Tatverdacht bestätigen, handelt es sich um den 14. Femizid in Österreich in diesem Jahr. Bei zwei der genannten 14 Frauenmorde ist jedoch nicht klar, ob von einem gemeinsam geplanten Suizid oder Mord gesprochen werden kann.



Gewalt in Zahlen


Doch nicht nur 2021 machten Frauenmorde Schlagzeilen. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik kam es 2020 zu 31 Morden an Frauen – 2018 gab es sogar einen Höchststand von 41 Frauenmorden in Österreich. Die Anzahl an ermordeten Frauen hat sich also von 2014 bis 2018 mehr als verdoppelt.


Eine Studie zu Morddelikten des Bundeskriminalamts Österreich von Jänner 2018 bis Februar 2019 lässt erkennen: Die Täter waren bei 90,2 Prozent der 55 Opfer männlich. Bei sechs Opfern war die Täterin weiblich. 57,5 Prozent der weiblichen Mordopfer wurden in Intimbeziehungen getötet. Während in der Hälfte der Fälle Täter und Opfer zum Tatzeitpunkt noch zusammenlebten, lebte die andere Hälfte nicht (mehr) zusammen. So dürften auch Trennungen oder das Ankündigen dieser häufig zur Gewalttat geführt haben. Ein Viertel der weiblichen Mordopfer wurde von einem Familienmitglied ermordet. In 98 Prozent der Fälle kannte das weibliche Opfer seinen Täter. Frauen erleben prinzipiell den Großteil von Gewaltübergriffen in der eigenen Wohnung und/oder in der Wohnung von anderen – sprich im eigenen sozialen Umfeld. Das ist auch deshalb relevant, da diese Zahlen einen geschlechtsspezifischen Unterschied belegen: Denn Männer sind eher im öffentlichen Raum von Gewalt betroffen.


In den meisten Fällen sind die Täter bereits zuvor straffällig geworden und sie kündigten ihre Taten mit Drohungen oder Morddrohungen an. So waren laut der eben genannten Studie des Bundeskriminalamts zwei Drittel der Täter bei Mordfällen zwischen Intimpartner*innen bereits aktenkundig. In fast der Hälfte der Fälle wurde zuvor ein Betretungsverbot gegenüber dem Täter ausgesprochen. Allein 2020 wurden knapp 12.000 Betretungs- und Annäherungsverbote von der Polizei verhängt. Das Betretungs- und Annäherungsverbot verbietet es Gefährder*innen für zwei Wochen einer gefährdeten Person und/oder deren Wohnung näher als einem Umkreis von 100 Metern zu kommen.



Femizide sind keine Einzelschicksale


Femizide auf Individualfälle zu reduzieren würde der Schwere der Problematik nicht gerecht werden. Femizide haben System. Sie begründen sich in patriarchalen Strukturen einer Gesellschaft und somit in der Unterdrückung und Abwertung von Frauen. Ebenso wenig sind Femizide auf Klasse, Ethnie oder Religionszugehörigkeit zurückzuführen. Sie haben alle den Anspruch auf ein Fortbestehen der sozialen Ordnung und damit einer männlichen Vorherrschaft.


"Das Besitzdenken spielt eine große Rolle. Und dass sie glauben Frauen sind grundsätzlich schon einmal minderwertiger als Männer in unserer Gesellschaft"

Maria Rösslhumer, die Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF), erklärte in einem Interview mit PULS 24 weshalb das eigene Zuhause für Frauen am gefährlichsten sei. Laut Rösslhumer würden Frauen überall Gewalt erleben, aber sehr häufig in der Beziehung. Das liege noch immer an dem traditionellen Rollenbild, dass Männer glauben sie hätten einen Anspruch auf Frauen und Kinder: "Das Besitzdenken spielt eine große Rolle. Und dass sie glauben Frauen sind grundsätzlich schon einmal minderwertiger als Männer in unserer Gesellschaft", erläutert Rösslhumer. Als Warnsignal für Frauen in Gewaltbeziehungen gibt die Frauenrechtlerin nicht nur Gewaltübergriffe an. Weitere Indizien sind die Abwertung und Isolation von Freund*innen und Familie und die Unfähigkeit des Partners einen Konflikt gemeinschaftlich zu lösen: "Wenn sie merken jedes Mal, wenn sie ein Thema ansprechen, dass er sofort auszuckt, aggressiv und zornig wird, statt sich am Tisch zusammenzusetzen und Probleme und Konflikte miteinander gewaltfrei zu lösen."


Am Karlsplatz in Wien präsentierten Demonstrant*innen am 10. Mai Banner mit Datum und Ort der vergangenen Femizide

Am Karlsplatz in Wien präsentierten Demonstrant*innen am 10. Mai Banner mit Datum und Ort der vergangenen Femizide



Die Berichterstattung der Boulevardpresse


Die Boulevardpresse betitelt Femizide jedoch selten als solche. Stattdessen schrieb die Tageszeitung Österreich am 12. Mai über den Frauenmord in Simmering: "Mord-Alarm in Wien: 36-jähriges Opfer hinterlässt kleines Kind“. Häufig werden verharmlosendere Begriffe wie das "Beziehungsdrama" (Heute, 23.10.2020), die "Bluttat“ (Kronen Zeitung, 30.04.2021), das "Eifersuchtsdrama" (Kronen Zeitung, 19.04.2020) oder die "Beziehungstat" (Heute, 22.04.2021) für Femizide verwendet. Vermehrt werden auch grausame Details eines Mordes geschildert (Kronen Zeitung, 24.04.2021) oder den Mordopfern eine (Teil-)Schuld an ihrer eigenen Ermordung zugesprochen. Ihr Partner hätte sie ja schließlich aus Liebe getötet, weil sie - eine "bildhübsche" Frau - fremdgegangen wäre (Kronen Zeitung, 19.04.2020). Damit wird das Narrativ eines männlichen Besitzdenkens wieder und wieder neu erzählt, den ermordeten Frauen eine (Teil-)Schuld zugesprochen und dem Täter mehr Empathie entgegengebracht als den ermordeten Frauen.


"Wir haben durchschnittlich pro Jahr und Opfer nicht einmal 5 Stunden zur Verfügung. Damit können wir nur Krisenhilfe leisten in Akutsituationen."

Rosa Logar, Leiterin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie und Maria Rösslhumer (AÖF) formulierten in einem Interview mit W24 ihre Forderungen für einen wirksamen Gewaltschutz. Laut Logar würden demnach die Mittel fehlen, um Betroffene langfristig unterstützen zu können: "Wir haben durchschnittlich pro Jahr und Opfer nicht einmal 5 Stunden zur Verfügung. Damit können wir nur Krisenhilfe in Akutsituationen leisten." Doch das Ausbrechen aus einer Gewaltbeziehung brauche Zeit, sei schwierig und gefährlich: "Es kommt immer wieder in der Trennung zu Gewalthandlungen und auch fast alle Morde und Mordversuche werden in dieser Zeit verübt." Rösslhumer zufolge brauche es eine effiziente Gefährlichkeitsprognose. So soll bei jeder Anzeige, die eine Frau erstattet auch ein Betretungs- und Annäherungsverbot verhängt werden. Auch Kampagnen gegen Männergewalt und der Ausbau von Männerberatungen seien wichtig, erläutert Rösslhumer: "Es braucht Männerkampagnen. Es braucht diese Mitbeteiligung der Männer – weil Gewalt an Frauen ist ein Männerproblem."


Hier wurde vor dem Gebäude der Boulevardzeitung "Österreich" in Wien demonstriert

Hier wurde vor dem Gebäude der Boulevardzeitung "Österreich" in Wien demonstriert



Warum wir alle in der Verantwortung stehen


Die Frage ist nicht, ob wir ein System fördern, das den Nährboden für Gewalt gegen Frauen bildet – denn das tun wir alle. Die Frage ist wie wir damit aufhören können patriarchale Rollenbilder tagtäglich zu reproduzieren: Jedes Mal wenn wir bei physischer, sexueller und psychischer Gewalt wegsehen. Jedes Mal wenn eine Frau für ihre Gewalterfahrungen eine (Teil-)Schuld zugesprochen bekommt. Jedes Mal wenn wir Männer verhöhnen, sollten sie es wagen Emotionen zu zeigen. Jedes Mal wenn wir männliche Gewalt beschönigen mit Aussagen wie „boys will be boys“. Dann fördern wir jedes Mal ein System, das auch für Femizide verantwortlich ist.


*(Stand: 29. Mai 2021)

 

Beratung und Hilfe


Jede fünfte Frau in Österreich ist ab ihrem 15. Lebensjahr körperlicher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt laut einer Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte. Anlaufstellen und Informationen für Beratung & Hilfe bei Gewalterfahrungen findest du hier:


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