In Österreich wird Bildung überdurchschnittlich oft vererbt. Oliver Gruber von der Arbeiterkammer Wien spricht im amRand-Podcast über ausschlaggebende Faktoren, Diskriminierung im Schulwesen und darüber, wie man sich einer Bildungsgerechtigkeit annähern kann. TEXT & AUDIO: CHIARA SWATON
Der Bildungsstand und die finanziellen Möglichkeiten der Eltern haben großen Einfluss auf die Bildungschancen ihrer Kinder. Doch auch das Bildungssystem ist laut Oliver Gruber ein zentraler Faktor: "Der setzt sich nämlich auf diese Ausgangsungleichheiten drauf." Der Politologe ist Referent für Migration, Integration und Sprachförderung bei der Arbeiterkammer Wien. Was die schulische Segregation nach sozialer Herkunft betrifft, liegt Österreich im OECD-Vergleich über dem Durchschnitt. Kinder einkommensstarker und einkommensschwacher Familien gehen also immer noch eher an unterschiedliche Schulen. Hinzu kommen Umstände wie die wohnräumliche Segregation, das heißt die ungleiche Verteilung von sozial schwächeren Haushalten zwischen Stadt und Land sowie innerhalb der städtischen Bezirke. "Wir haben sozusagen Ballungen von einkommensschwachen Schulstandorten", sagt Gruber. Unter Personen mit Migrationsgeschichte wird Bildung noch einmal stärker vererbt als unter autochthonen Österreicher*innen. Haben die Eltern also nur einen Pflichtschulabschluss, so erreicht auch beinahe die Hälfte der Kinder (47 Prozent) keinen höheren Bildungsabschluss – das hat eine Auswertung der Statistik Austria aus dem Jahr 2014 ergeben. Neben dem sozialen Hintergrund spielen hier sprachliche Schwierigkeiten eine große Rolle. "Wenn ich als Schulkind zu Hause relativ wenig Förderung bekommen und dann noch mangelnde Deutschkenntnisse sowie einen geringen Wortschatz habe, dann kumulieren sich diese Effekte", erklärt der Politologe. Dieser zusätzliche Faktor würde dann noch einmal zu schlechteren Leistungsergebnissen führen. Am österreichischen Schulsystem kritisiert Gruber, dass es immer noch sehr stark an der deutschen Sprache festhalte und daher sehr monolingual gestaltet sei.
Um der Bildungsungleichheit entgegenzuwirken, brauche es eine bedarfsorientierte Schulfinanzierung. Als Beispiel nennt Gruber den Chancenindex der Arbeiterkammer Wien. Neben der Basisfinanzierung hängt bei diesem Modell die zusätzliche Zuteilung der Mittel vom Bildungshintergrund der Eltern und der Alltagssprache der Kinder ab. "Damit wird dann beispielsweise in zusätzliches Lehrpersonal, sozialarbeiterisches oder schulpsychologisches Personal und in zusätzliche Lernförderangebote investiert." Außerdem sei es wichtig, in Richtung eines durchgängigen Sprachförderkonzeptes zu gehen: "Das heißt weggehen davon, dass meine deutsche Sprachkompetenz alleine darüber entscheidet, welche Chancen ich habe, um erfolgreich die Schule abzuschließen." Mehrsprachige Förderung und mehrsprachiger Unterricht sollten also noch mehr in den Schulalltag integriert werden. Ein Beispiel wären etwa Sprachlernbegleiter*innen, die Fachpädagog*innen dabei helfen, mehrsprachige Elemente in den Unterricht einzubauen.
In seinem neuesten Buch "Integration erwünscht?" beleuchtet Oliver Gruber Österreichs Integrationspolitik (c) Specht
Auch Diversitätskompetenzen seien ein wichtiger Aspekt: "Also, wie gehe ich um mit einem heterogenen Klassenverband? Wie kann ich das produktiv nutzen ohne davon erschlagen und überfordert zu sein?" In der Ganztagsschule sieht Gruber ein großes Potential. Gerade in Corona-Zeiten habe man wieder gesehen, wie unterschiedlich die Haushaltssituation der Schüler*innen ist. "Während die einen über einen Laptop und ein eigenes Zimmer verfügten, mussten die anderen vielleicht zu dritt mit den Geschwistern am Wohnzimmertisch neben dem Küchenlärm arbeiten." Die Ganztagsschule könne eine gute Alternative bilden, da sie beispielsweise sicherstellt, dass Kinder lernförderliche Angebote bekommen. Die Talente von Schüler*innen würden so außerdem viel besser erkannt und gefördert werden können als in einem Halbtagsschulformat.
Ein weiteres Problem ist Diskriminierung. Insgesamt gaben 43 Prozent der Befragten an, in den letzten drei Jahren zumindest in einem Lebensbereich diskriminiert worden zu sein, wie eine Studie von SORA aus dem Jahr 2019 zeigt. Hierbei gelte es laut Gruber, auch im Schulalltag viel mehr auf Information und Sensibilisierung zu setzen. Sowohl für Schüler*innen, damit sie wissen, an wen sie sich wenden können, als auch für Lehrer*innen, damit diese erkennen, wo Diskriminierung beginnt. "Im Bereich der Bildung ist rassistische Diskriminierung verboten, aber vor Diskriminierung aufgrund von Religion ist man nicht geschützt." Es sei also wichtig, eine Einheitlichkeit im Diskriminierungsschutz herzustellen.
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Edin ist der Sohn bosnischer Eltern, Pascal hat koreanische Wurzeln. Beide haben sie während ihrer Schulzeit Erfahrungen mit Diskriminierung und Rassismus gemacht. Mit amrand.at haben sie darüber gesprochen, wie sie Bildungsungleichheit zu spüren bekommen haben.
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